Hemisymptomatik

Allgemeine Informationen

Definition

  • Eine Hemisymptomatik bezeichnet neurologische Defizite, die sich auf lediglich einer Körperhälfte manifestieren.
    • Präfix Hemi- (lat. halb, halbseitig)
  • Abhängig von der Art der Funktionsstörung werden unterschieden:
    • Hemiparese: halbseitige Muskellähmung
      • Hemiplegie: vollständige halbseitige Lähmung
    • Hemihypästhesie: halbseitige Sensibilitätsstörung
    • homonyme Hemianopsie: halbseitiger Gesichtsfeldausfall (in beiden Augen)
    • (Hemi-)Neglect: halbseitige Aufmerksamkeitsstörung
    • Hemiataxie: halbseitige Koordinationsstörung.
  • Bei plötzlichem Auftreten einer Hemisymptomatik sind zerebrovaskuläre Erkrankungen die wichtigste Differenzialdiagnose.

Konsultationsgrund

  • (Plötzliche) Neurologische Funktionsstörung
  • Einschränkung der alltäglichen Aktivitäten
  • Fremdbeobachtet neu aufgetretenes neurologisches Defizit

ICD-10

  • G81 Hemiparese und Hemiplegie
    • G81.0 Schlaffe Hemiparese und Hemiplegie
    • G81.1 Spastische Hemiparese und Hemiplegie
    • G81.9 Hemiparese und Hemiplegie, nicht näher bezeichnet
  • H53 Sehstörungen
    • H53.4 Gesichtsfelddefekte (inkl. Hemianopsie)
  • R20 Sensibilitätsstörungen der Haut
    • R20.1 Hypästhesie der Haut
  • R29 Sonstige Symptome, die das Nervensystem und das Muskel-Skelett-System betreffen
    • R29.5 Neurologischer Neglect

Differenzialdiagnosen

Schlaganfall und TIA

  • Siehe Artikel Schlaganfall und TIA.
  • Häufigste Ursache einer plötzlichen Hemisymptomatik
    • ischämischer Schlaganfall: 85 %
    • hämorrhagischer Schlaganfall (intrazerebrale Blutung): 15 %
  • Ausmaß und Lokalisation der Symptome variieren nach Schwere der Läsion.
  • Bei neurologischen Defiziten von weniger als 24 Stunden Dauer ohne Nachweis einer zerebralen Ischämie in der Bildgebung wird von einer transitorischen ischämischen Attacke (TIA) gesprochen.
  • Häufig liegen vaskuläre Risikofaktoren vor:
  • Jeder Schlaganfall und jede TIA sind grundsätzlich medizinische Notfälle und bedürfen einer unverzüglichen Therapie.

Intrakranielle Blutungen

  • Eine intrakranielle Blutung kann abhängig von der Lokalisation zu einer Hemisymptomatik führen.
  • Je nach Blutungsquelle plötzliche, subakute oder chronisch-progrediente Symptome
  • Intrakranielle Blutungen können traumatisch oder spontan auftreten.
  • Abhängig von der Lokalisation der Blutung unterscheidet man:

Multiple Sklerose (MS)

  • Siehe Artikel Multiple Sklerose.
  • Chronisch-entzündliche, demyelinisierende ZNS-Erkrankung
    • Kann durch entzündliche Läsionen im Gehirn oder Rückenmark zu vielseitigen neurologischen Defiziten führen.
    • Erstmanifestation meist in jüngerem Lebensalter (20–45 Jahre)
  • Verschiedene Verlaufsformen
    • schubförmig remittierende MS
    • sekundär progrediente MS
    • primär progrediente MS
  • Die Art und Ausprägung der Symptome sind abhängig von der Lokalisation der entzündlichen Läsionen im ZNS.
    • Diese können subakut als Schub oder chronisch progredient auftreten.
    • häufig Optikusneuritis oder Sensibilitätsstörungen bei Erstmanifestation

Intrakranielle Tumoren

Parkinson-Syndrom

  • Das Parkinson-Syndrom bezeichnet einen Symptomenkomplex aus:
    • Bradykinese/Akinese
    • Ruhetremor
    • Rigor
    • posturaler Instabilität.
  • Die Parkinson-Krankheit ist eine progrediente neurodegenerative Erkrankung.
  • Bei Beginn oft einseitige oder asymmetrisch betonte Symptomatik
    • z. B. Tremor einer Körperhälfte
    • Im Verlauf sind in der Regel beide Seiten betroffen.

Zerebralparese

  • Siehe Artikel Zerebralparese.
  • Ursache ist eine Hirnschädigung während der Entwicklung
    • z. B. hypoxische Hirnschädigung während der Geburt
  • Leichte Fälle werden in der Kindheit nicht immer diagnostiziert.
  • Patient*innen können eine leichte Hypotrophie der Extremitäten der angezeigten Seite aufweisen und zeigen in der Regel übersteigerte Reflexe bis zur Spastik.

Spinale Läsionen und Myelopathie

Hemispasmus facialis

  • Einseitige Störung der Gesichtsmuskulatur durch Läsion des Nervus facialis
  • Einschießende Verkrampfungen und Anspannungen der Gesichtsmuskulatur
  • Therapieoptionen bestehen in Botulinumtoxin-Injektionen.

Dissoziative Störungen

  • Siehe Artikel Dissoziative Störungen.
  • Sehr seltene Ursache einer Hemisymptomatik
    • multifaktorieller Entstehungsprozess, häufig Trauma in der Vorgeschichte
  • Eine vollumfängliche Diagnostik ist zum Ausschluss einer organischen Ursache notwendig.
  • Hinweise auf psychogene Hemiparese
    • uneingeschränkte Mitbewegungen des betroffenen Armes beim Gehen
    • eingeschränktes Drehen des Kopfes zur betroffenen Seite
      • Bewegung durch M. sternocleidomastoideus der Gegenseite

Anamnese

Klinische Untersuchung

Körperliche Untersuchung

  • Allgemeine körperliche Untersuchung
  • Funktionelle Untersuchungen
    • z. B. Gehen, Kniebeuge, Hacken-/Zehengang, Schreiben, Lesen
  • Neurologische Untersuchung
    • Orientierung, Sprache, Hirnnervenstatus, Motorik, Reflexe, Sensibilität, Koordination, Gang und Stand
    • Wahrnehmungsdefizite einer Seite (Neglect?)
      • visuell und sensibel: Extinktionsphänomen (Nichtwahrnehmen der betroffenen Seite) bei beidseitiger Stimulation
    • Koordinationsdefizite einer Seite (Hemiataxie?)
    • Gesichtsfeldausfälle (Hemianopsie?)
    • zentrale faziale Parese
    • motorische und/oder sensible Defizite der Extremitäten
    • Pyramidenbahnzeichen (z. B. Babinski-Zeichen) als Zeichen einer ZNS-Läsion?

Face-Arm-Speech-Test (FAST)

  • Einfaches Instrument zur Ersteinschätzung durch Laien oder präklinisch
  • Siehe Artikel Schlaganfall, Akutversorgung.
  • Siehe Tabelle FAST-Test.
  • Faziale Parese
    • Patient*innen bitten, zu lächeln und die Zähne zu zeigen.
    • auffällig bei fazialer Asymmetrie
  • Armparese
    • Patient*innen bitten, die Arme auf 90 Grad in sitzender und 45 Grad in liegender Position zu heben und zu halten.
    • auffällig bei Absinken oder Abdriften des Armes
  • Sprach- bzw. Sprechstörung
    • auffällig bei Wortfindungsstörungen und/oder gestörtem Verständnis einfacher Aufforderungen bzw. undeutlicher, verwaschener Aussprache
  • Interpretation: Fällt ein Test positiv aus, besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen eines Schlaganfalls, und die Patient*innen sollten unverzüglich eingewiesen werden („Time is brain").
    • Wenn die Symptome vor Ablauf von 24 Stunden vorübergehen, liegt eine TIA vor.
    • Bei einer peripheren Fazialisparese ist eine Notfalleinweisung nicht notwendig.

Ergänzende Untersuchungen

Diagnostik bei Spezialist*innen

  • Abhängig vom Syndrom und der Verdachtsdiagnose
  • Labordiagnostik
  • Zerebrale Bildgebung (CT oder MRT)
  • Ggf. spinale Bildgebung (CT oder MRT)
  • Ggf. Lumbalpunktion und Liquordiagnostik

Maßnahmen und Empfehlungen

Indikationen zur Klinikeinweisung/Überweisung

  • Bei akutem Beginn unverzügliche Einweisung in ein Krankenhaus mit neurologischer Abteilung bzw. Stroke Unit!
  • Bei subakuten oder chronischen Symptomen ist eine Krankenhauseinweisung oder Überweisung an Neurolog*in indiziert.

Quellen

Literatur

 

Autor*innen

  • Jonas Klaus, Arzt, Freiburg im Breisgau

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