Allgemeine Informationen
Definition
- Ausscheidung von Glukose im Urin, die über das physiologische Maß hinausgeht.
- Physiologische Glukoseausscheidung im Urin bis 15 mg/dl (0,8 mmol/l)
- Glukosurie bei Überschreiten der „Nierenschwelle“ (normal bei ca. 160−180 mg/dl [8,9−10 mmol/l] Blutzucker)
- bei Blutzucker oberhalb der Nierenschwelle keine ausreichende Rückresorption der glomerulär filtrierten Glukose im proximalen Tubulus
- Die Nierenschwelle kann
- höher sein, z. B. bei:
- Älteren
- Nierenerkrankungen (z. B. diabetische Nephropathie).
- niedriger sein, z. B. bei:
- Kindern und Jugendlichen
- in der Schwangerschaft
- MODY3 (Maturity Onset Diabetes of the Young)
- Therapie mit SGLT2-Inhibitoren (durch Hemmung des Sodium-Glucose Co-Transporter-2 Erhöhung der renalen Glukoseausscheidung).
- höher sein, z. B. bei:
Ursachen
- Eine Glukosurie kann nichtrenale und renale Ursachen haben.
Nichtrenale Ursachen
- Typ-2-Diabetes und Typ-1-Diabetes sind die häufigsten nichtrenalen Ursachen (auch insgesamt wichtigste Differenzialdiagnose einer Glukosurie).
- spezielle Formen
- Gestationsdiabetes: Glukosetoleranzstörung, die in der zweiten Schwangerschaftshälfte mit einem oralen Glukosetoleranztest (oGTT) diagnostiziert wird.
- MODY3: monogenetisch verursachter Diabetes mellitus mit erniedrigter Nierenschwelle, klinisch bis zum frühen Erwachsenenalter auftretend (typischerweise bis 25 Jahre)
- spezielle Formen
- Nichtdiabetische postprandiale Glukosurie
- Z. n. Gastrektomie mit postprandialer, passagerer Hyperglykämie
- exzessive Glukosezufuhr, z. B. Konsum großer Mengen an Süßgetränken vor der Probenentnahme
Renale Ursachen
- Erworbene tubuläre Resorptionsstörungen
- im Rahmen interstitieller Nierenerkrankungen
- Therapie mit SGLT2-Inhibitoren
- Angeborene tubuläre Resorptionsstörungen (selten)
- angeborene Störungen der renalen Glukosetransporter (SGLT, GLUT)
- familiäre renale Glukosurie (SGLT2)1
- starke Glukosurie bis 200 g/24 h bei homozygoten Patient*innen
- im Allgemeinen asymptomatisch, keine Therapie erforderlich
- Glukose-Galaktose-Malabsorption (SGLT1)
- Fanconi-Bickel-Syndrom (GLUT2)
- familiäre renale Glukosurie (SGLT2)1
- De-Toni-Debré-Fanconi-Syndrom mit generalisierter Resorptionsstörung am proximalen Tubulus
- angeborene Störungen der renalen Glukosetransporter (SGLT, GLUT)
Diagnostik
Nachweis mittels Urinteststreifen
- Untersuchung des Urins in der Routine üblicherweise mit Mehrparameter-Harnteststreifen
- Einfacher semiquantitativer Nachweis
- Enzymatischer Nachweis durch Glukoseoxidasemethode
- Untere Nachweisgrenze 30−50 mg/dl (1,7−2,8 mmol/l)
- Konzentrationsabhängiger Farbumschlag
- Da physiologisch kaum Glukose im Urin ist, kann der Wert nicht „zu niedrig“ sein.
Diagnostik bei verschiedenen Umständen/Erkrankungen
Zufallsbefund bei Anwendung von Urinteststreifen
- Eine zufällig nachgewiesene Glukosurie sollte abgeklärt werden.
Diabetes mellitus
- Eine neu festgestellte Glukosurie ist möglicher Hinweis auf bislang nicht bekannten Diabetes mellitus.
- Abgrenzung der renalen Glukosurie zum Diabetes mellitus durch Bestimmung der Nüchtern-Plasmaglukose und des HbA1c
- Aber eingeschränkte Sensitivität einer Glukosurie zum Nachweis eines Diabetes mellitus (daher kein Diabetesausschluss durch negativen Urintest)
- negativer Test bei erhöhten Blutzuckerspiegeln unterhalb der Nierenschwelle (normal 160−180 mg/dl [8,9−10 mmol/l])
- bei bereits vorliegender diabetischer Nephropathie erhöhte Nierenschwelle (bis 300 mg/dl [16,7 mmol/l])
- Bedeutung für die Therapiekontrolle bei Diabetes mellitus
- Bestimmungen von Uringlukose (und Plasmaglukose) haben bei Patient*innen mit NIDDM durch die regelmäßigen HbA1c-Kontrollen an Bedeutung verloren und werden nicht generell empfohlen.
- In bestimmten Situationen ist die Bestimmung der Uringlukose aber sinnvoll:
- Urin-Teststreifen (um den Faktor 10 preiswerter als Blutzucker-Selbstmessung) können zwischen zwei HbA1c-Messungen verwendet werden zur Klärung, ob Symptome tatsächlich mit Hyperglykämie und damit einhergehend mit Glukosurie verbunden sind.
- Ein Zusatznutzen der Plasmaglukoseselbstmessung gegenüber der Bestimmung der Uringlukose konnte bei Patient*innen mit NIDDM nicht belegt werden.
Therapie mit SGLT-2-Inhibitoren
- Bei diesen Patient*innen (auch chronische Herzinsuffizienz oder chronische Nierenkrankheit als Indikation) ist der Nachweis einer Glukosurie primär als Ausdruck der Therapieadhärenz und nicht einer renalen Schädigung zu werten.,
Schwangerschaft
- Glukosurie aufgrund der erniedrigten Nierenschwelle bei bis zu 40 % der Schwangeren trotz normaler Glukosetoleranz
- Andererseits Glukosurie nur bei < 10 % der Schwangeren mit Gestationsdiabetes
- Urintest daher ungeeignet als Screeningmethode auf Gestationsdiabetes
Kinder und Jugendliche
- Niedrigere Nierenschwelle (140−160 mg/dl [7,8−8,9 mmol/l]) als beim Erwachsenen
ICPC-2
- A91 Pathologischer Befund einer Untersuchung NNB
ICD-10
- R81 Glukosurie
Ergänzende Untersuchungen in der Hausarztpraxis nach Glukosurienachweis
Blutzuckerbestimmung im venösen Plasma
- Blutzucker kann nicht-nüchtern in der gleichen Konsultation, bei der die Glukosurie entdeckt wurde, gemessen werden.
- manifester Diabetes mellitus bei Gelegenheitsplasmaglukose ≥ 200 mg/dl (≥ 11,1 mmol/l)
- Später ggf. ergänzende Bestimmung von HbA1c und Nüchternplasmaglukose
- Manifester Diabetes mellitus liegt vor, wenn
- HbA1c ≥ 6,5 %.
- Nüchternplasmaglukose ≥ 126 mg/dl (≥ 7,0 mmol/l).
- Manifester Diabetes mellitus liegt vor, wenn
- oGTT wird von der DEGAM zur Diagnose des Diabetes mellitus für die Diagnostik in der Hausarztpraxis nicht empfohlen.
Patienteninformationen
Patienteninformationen in Deximed
Quellen
Literatur
- Calado J, Loeffler J, Sakallioglu O, et al. Familial renal glucosuria: SLC5A2 mutation analysis and evidence of salt-wasting. Kidney Int 2006; 69: 852. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
Autor*innen
- Michael Handke, Prof. Dr. med., Facharzt für Innere Medizin, Kardiologie und Intensivmedizin, Freiburg