Proteinurie

Allgemeine Informationen

Definition

  • Allgemeiner Ausdruck für das Vorhandensein einer erhöhten Proteinmenge im Urin1
  • Unterschiedliche Mechanismen führen zu abnormem Proteinverlust:1
    • erhöhte glomeruläre Durchlässigkeit für Proteine mit großem Molekulargewicht (Albuminurie oder glomeruläre Proteinurie)
    • unvollständige tubuläre Rückabsorption von normal filtrierten Proteinen mit niedrigem Molekulargewicht (tubuläre Proteinurie)
    • erhöhte Plasmakonzentration von Proteinen mit niedrigem Molekulargewicht (Überproduktionsproteinurie, z. B. Leichtketten)
    • Zellschäden im Bereich der Niere oder dem unteren Harntrakt

Häufigkeit

Diagnostische Bedeutung

  • Eine Proteinurie kann4
    • vorübergehend oder anhaltend auftreten.
    • benigne sein oder auf eine zugrunde liegende Krankheit hinweisen.
  • Ein einzelner Nachweis z. B. mit dem Urinteststreifen ist in den meisten Fällen noch kein Ausdruck einer schweren Erkrankung.5
  • Im Übrigen ist eine anhaltende Proteinurie aber u. a. ein wichtiger prognostischer Parameter.6
    • unabhängiger Risikofaktor für Mortalität und insbesondere kardiovaskuläre Mortalität7
    • Das Ausmaß der Albuminurie bestimmt – zusammen mit der eGFR – die Prognose einer chronischen Nierenkrankheit.1
    • Zur renalen und kardiovaskulären Risikoabschätzung soll bei Patient*innen mit chronischer Nierenkrankheit neben einer eGFR-Abschätzung eine quantitative Bestimmung der Proteinurie (z. B. als Albumin-Kreatin-Ratio im Spontanurin) erfolgen.
  • Anhaltende Proteinurie

Differenzialdiagnosen

Benigne Proteinurie

  • Schwere körperliche Aktivität
  • Fieber
  • Hitzekrankheit
  • Dehydratation
  • Harnwegsinfektion
  • Sonstige akute entzündliche Erkrankung
  • Menstruation
  • Orthostatische Proteinurie
    • normale Nierenfunktion, Eiweißverlust nur am Tag, keine Proteinurie im ersten Morgenurin

Glomeruläre und tubuläre Schädigungen

Überlaufproteinurie

Post- und extrarenale Proteinurie

  • Tumoren
  • Nephrolithiasis

ICD-10

  • R80 Isolierte Proteinurie

Diagnostik

Anamnese

Klinische Untersuchung

Nachweis und Quantifizierung einer Proteinurie

  • Die physiologische Proteinurie beträgt 40–80 mg/d, davon ca. 10 mg Albumin

Urinteststreifen/Screening

  • Urinteststreifen sind semiquantitativ und weisen vor allem Albumin nach.
  • Keine hochsensitive Methode, Albumin wird erst ab einer Ausscheidung von 100–300 mg/d nachgewiesen.1
    • Mittlerweile sind auch Teststreifen zum Nachweis noch geringerer Albuminmengen verfügbar („Mikroalbuminurie-Teststreifen“), allerdings sind auch hier falsch-positive und falsch-negative Resultate möglich. 
  • Im Vergleich zur Laborbestimmung beträgt der positive Vorhersagewert von Urinteststreifen ca. 85 %, der negative Vorhersagewert ca. 84 %.9 
  • Falsch positive Befunde bei:9-10
    • Harnwegsinfekten
    • vaginalem Ausfluss
    • konzentriertem Urin mit hoher spezifischer Dichte
    • alkalischem Urin: pH > 7,5
    • Hämaturie
    • Ausscheidung von Penicillin oder Sulfonamiden im Urin
  • Falsch negative Befunde bei:
    • verdünntem Urin
    • Proteinurie nicht durch Albumin verursacht: z. B. Bence-Jones-Proteine

Bestimmung der Albumin-Kreatinin-Ratio (AKR) bzw. Protein-Kreatinin-Ratio (PKR)

  • Akkurat gesammelter 24-Stunden-Urin ist die klassische Referenzmethode, im praktischen Alltag mittlerweile aber weitgehend obsolet.1
    • Schwierig im Verlauf zu kontrollieren, Sammelfehler verfälschen die Berechnung, Ergebnis liegt erst mit Verzögerung vor.
  • Heutzutage gebräuchlich ist die Messung der Albumin-Kreatinin-Ratio (AKR) bzw. Protein-Kreatinin-Ratio (PKR) im Spontan- oder Morgenurin.
    • Durch die Verhältnisbildung mit dem Kreatininwert wird der Proteinverlust auf unterschiedliche Hydratationszustände korrigiert
    • Zahlenmäßig sind die Werte von AKR und PKR den Werten der früheren 24-Stunden-Messung sehr ähnlich, was die Umstellung erleichtert.
  • Gemäß KDIGO-Leitlinien ist die Untersuchung des Spontanurins ein vernünftiger erster quantitativer Test auf Albuminurie.1
  • Morgenurin ist aber aufgrund guter Korrelation von AKR/PKR mit der 24-Stunden-Proteinausscheidung zu bevorzugen.1

Albumin- oder Proteinmessung?

  • Albuminmessung sollte bevorzugt werden.1
    • wichtigstes Protein im Urin bei den meisten Nierenerkrankungen
    • Messung standardisiert
  • Empfehlung der KDIGO-Leitlinien zur Testung (in absteigender Präferenz, bei allen Tests ist Morgenurin zu bevorzugen)1
    • Albumin/Kreatinin-Ratio (AKR) im Urin
    • Protein/Kreatinin-Ratio (PKR) im Urin
    • Urinteststreifen auf Gesamtprotein
  • Albuminbestimmung bei Verdacht auf eine beginnende Nephropathie
  • Empfehlungen zum Screening auf Albumin bei Diabetes-Patient*innen:
    • bei Personen mit Typ-1-Diabetes jährlich Bestimmung des Albumins im Urin empfohlen
      • Bei Personen mit Typ-1-Diabetes und mäßiger Albuminausscheidung („Mikroalbuminurie“) 3-fach erhöhtes kardiovaskuläres Risiko im Vergleich zu Patient*innen ohne Diabetes
    • Bei Menschen mit Typ-2-Diabetes sollte das Albumin im Urin nicht routinemäßig bestimmt werden.
      • keine randomisierten Studien zum Nutzen eines Screenings

Abklärungsalgorithmus einer Proteinurie gemäß KDIGO-Leitlinie1

  • Bestätigung eines positiven Urinstreifentests durch quantitative Labormessung inklusive Bestimmung von AKR bzw. PKR
  • Bestätigung einer AKR ≥ 30 mg/g (≥ 3,4 g/mol) im Spontanurin durch eine nachfolgende Messung im Morgenurin
  • Nur falls noch genauere Bestimmung notwendig, Messung der Albumin- bzw. Proteinausscheidung im 24-Stunden-Urin
  • Falls Verdacht auf signifikante Nicht-Albumin-Proteinurie (z. B. Leichtketten), Anwendung spezifischer Nachweismethoden

Klassifikation der Albuminurie

  • Die durchschnittliche tägliche Ausscheidung von Protein bei Erwachsenen beträgt ca. 80 mg/24 h, als normale Ausscheidung gilt < 150 mg/24 h.11
    • Der Anteil von Albumin an der täglichen Proteinausscheidung beträgt bei gesunden Personen 15 %.
  • Einteilung der Albuminausscheidung gemäß KDIGO-Leitlinien (normale AKR bei jungen Erwachsenen < 10 mg/g):1
    • Kategorie A1: AKR < 30 mg/g (< 3,4 g/mol) (normal bis leicht erhöht)
    • Kategorie A2: AKR 30–300 mg/g (3,4–34 g/mol) (mäßig erhöht)
    • Kategorie A3: AKR > 300 mg/g (> 34 g/mol) (stark erhöht)
  • Der Begriff „Mikroalbuminurie“ soll gemäß KDIGO-Leitlinien nicht mehr verwendet werden.1
    • Kategorien A1–A3 beschreiben besser das Kontinuum der Albuminausscheidung.
  • Siehe Tabelle Proteinurie, Quantifizierung des Proteins in den Urinproben

Ergänzende Untersuchungen in der hausärztlichen Praxis

Labor – Urin

  • Mikroskopie (falls vorhanden)
    • evtl. Nachweis eines nephritischen Sediments
  • Urinelektrophorese, Immunfixation
    • Immunfixation zur differenzierten Proteindiagnostik

Labor – Blut

Nierensonografie

  • Struktureller Nierenschaden

Ergänzende Diagnostik bei Spezialist*innen

  • Großzügige Biopsie bei einer Proteinurie > 1 g/l

Maßnahmen und Empfehlungen

Indikation zur Überweisung

  • Patient*innen mit Albuminurie/Proteinurie sollten zur Nephrologie überwiesen werden, bei:1
    • beständigem Nachweis einer AKR ≥ 300 mg/g (34 g/mol), etwa äquivalent zu PKR ≥ 500 mg/g (56,6 g/mol).
  • Abklärung einer nephrologischen Grunderkrankung, z. B. Glomerulonephritis

Checkliste zur Überweisung

Proteinurie

Therapie

Allgemeines zur Therapie

Behandlung einer Proteinurie per se

  • Die Inhibierung des RAAS-Systems führt zu einer:12
    • Verminderung der Proteinurie
    • langfristigen Renoprotektion
  • Daher sollte bei Patient*innen mit signifikanter Proteinurie eine Behandlung mit einem ACE-Hemmer bzw. AT-Rezeptor-Antagonisten erfolgen.
  • Auch bei Menschen, die nicht an Diabetes leiden, Gabe eines ACE-Hemmers oder AT-Rezeptor-Antagonisten bei Albuminurie > 300 mg/24 h.1
  • Reduktion der Proteinurie um 30–50 % möglich13
  • Die Frage der Proteinrestriktion wird kontrovers diskutiert, derzeit keine überzeugende Evidenz, dass eine Proteinrestriktion die Progression einer chronischen Nierenerkrankung verzögert.1

Behandlung einer Proteinurie gemäß KDIGO-Leitlinie1

  • Bei Patient*innen mit und ohne Diabetes mit chronischer Nierenkrankheit und Albuminurie > 30 mg/24 h (oder Äquivalent) sollte ein erhöhter Blutdruck medikamentös auf < 130/80 mmHg gesenkt werden.
  • Ein ACE-Hemmer oder Angiotensinrezeptorblocker sollte bei Patient*innen mit Diabetes, chronischer Nierenkrankheit und Albuminurie 30–300 mg/24 h (oder Äquivalent) verabreicht werden.
  • Ein ACE-Hemmer oder Angiotensinrezeptorblocker sollte bei Patient*innen mit und ohne Diabetes, chronischer Nierenkrankheit und Albuminurie >300 mg/24h (oder Äquivalent) verabreicht werden.
  • ACE-Hemmer und Angiotensinrezeptorblocker sollten nicht kombiniert werden.

Verlaufskontrollen

  • Albuminausscheidung und eGFR sollten bei allen Patient*innen mit chronischer Nierenkrankheit mindestens 1x/Jahr gemessen werden.1
    • Inwieweit Verlaufskontrollen häufiger durchgeführt werden, hängt von klinischen Entwicklung und  Progressionsrisiko ab.

Patienteninformationen

Patienteninformationen in Deximed

Quellen

Leitlinien

  • International Society of Nephrology. KDIGO 2012 Clinical Practice Guidelines for the Evaluation and Management of Chronic Kidney Disease, Stand 2012. kdigo.org

Literatur

  1. KDIGO 2012 Clinical Practice Guideline for the Evaluation and Management of Chronic Kidney Disease. Kidney International Supplements 2013;3:1-150. kdigo.org
  2. Hillege HL, Janssen WM, Bak AA. Microalbuminuria is common, also in a nondiabetic, nonhypertensive population, and an independent indicator of cardiovascular risk factors and cardiovascular morbidity. J Intern Med 2001; 249: 519-26. doi:10.1046/j.1365-2796.2001.00833.x DOI
  3. Thomas B. Proteinuria. Medscape, updated Mar 25, 2020. emedicine.medscape.com
  4. Viswanathan G, Upadhyay A. Assessment of proteinuria. Adv Chronic Kidney Dis. 2011;18:243-248. PubMed
  5. Leung AKC, Wong AHC. Proteinuria in children. Am Fam Physician 2010; 82: 645-51. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
  6. Jafar TH, Stark PC, Schmid CH, Landa M, Maschio G, Marcantoni C for the AIPRD Study Group. Proteinuria as a modifiable risk factor for the progression of non-diabetic renal disease. Angiotensin-converting enzyme inhibition and progression of renal disease. Kidney Int 2001; 60: 1131 - 40. PubMed
  7. van der Velde M, Matsushita K, Coresh J, et al. Lower estimated glomerular filtration rate and higher albuminuria are associated with all-cause and cardiovascular mortality. A collaborative meta-analysis of high-risk population cohorts. Kidney Int. 2011;79:1341-1352. PubMed
  8. Levey AS, de Jong PE, Coresh J, et al. The definition, classification, and prognosis of chronic kidney disease: a KDIGO Controversies Conference report. Kidney Int. 2011;80:17-28. PubMed
  9. Parker J, Kirmiz S, Noyes S, et al. Reliability of urinalysis for identification of proteinuria is reduced in the presence of other abnormalities including high specific gravity and hematuria. Urol Oncol 2020; 38: 853.e9-853.e15. doi:10.1016/j.urolonc.2020.06.035 DOI
  10. Carroll MF, Temte JL. Proteinuria in adults: A diagnostic approach. Am Fam Physician 2000; 62: 1333-40. American Family Physician
  11. Waheed S. Assessment of proteinuria. BestPractice, last updated Sep 17, 2014. bestpractice.bmj.com
  12. Toblli J, Bevione P, Di Gennaro F et al. Understanding the Mechanisms of Proteinuria: Therapeutic Implications. International Journal of Nephrology 2012; 2012: 1-13. doi:10.1155/2012/546039 DOI
  13. Jafar TH, Schmid CH, Landa M, Giatras I, Toto R, Remuzzi G et al. Angiotensin-converting enzyme inhibitors and progression of nondiabetic renal disease. A meta-analysis of patient-level data. Ann Intern Med 2001; 135: 73-87. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov

Autor*innen

  • Michael Handke, Prof. Dr. med., Facharzt für Innere Medizin, Kardiologie und Intensivmedizin, Freiburg i. Br.

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