Zusammenfassung
- Definition:Verfrühter und schmerzhafter ossärer Anschlag zwischen dem proximalen Femur und dem Azetabulum oder Becken.
- Häufigkeit:Häufige Ursache für Leistenschmerzen bei jungen, sportlich sehr aktiven Patient*innen.
- Symptome:Stechende Leistenschmerzen bei Belastung.
- Befunde:Schmerzprovokation durch kombinierte Flexion, Innenrotation und Adduktion im Hüftgelenk.
- Diagnostik:Körperliche Untersuchung sowie Röntgen und ggf. MRT.
- Therapie:Konservativer Therapieversuch mit Sportkarenz, Physiotherapie und intraartikulären Infiltrationen. Bei Beschwerdepersistenz Operation zur Resektion der Deformität.
Allgemeine Informationen
Definition
- Synonyme: femoroazetabuläres Impingement, FAI
- Verfrühter und schmerzhafter ossärer Anschlag zwischen dem proximalen Femur und dem Azetabulum oder Becken
- Der englische Begriff Impingement bedeutet „Aufprall“.
Klinische Anatomie
- Hüftgelenk = Nussgelenk
- Sonderform des Kugelgelenks, bei dem die Gelenkpfanne (Azetabulum) über den Äquator des Gelenkkopfs (Caput femoris) reicht.
- Rand des Azetabulums durch Gelenklippe (Labrum) bedeckt
- Dient der Vertiefung der Gelenkpfanne als Luxationsschutz.
Häufigkeit
- Häufige Ursache für Leistenschmerzen bei jungen, sportlich aktiven Menschen1
- Besonders häufig betroffen:2-3
- Alter 20–30 Jahre
- weiße Hautfarbe
- Sportler*innen
- Wichtig: Radiologische Impingement-Zeichen haben eine hohe Prävalenz in der Bevölkerung, sind jedoch bei Weitem nicht immer klinisch relevant.
- Prävalenz radiologischer Befunde
Ätiologie und Pathogenese
- Mechanische und/oder funktionelle Ursachen für das „Aufeinanderschlagen“ von Femur und Azetabulum
- Es gibt drei Formen des mechanischen Impingements:
- Pincer-FAI = „Beißzangen“-Typ
- Die Gelenkpfanne ist zu sehr ausgeprägt, der Rand „steht über“.
- Retrotorsion der Hüftpfanne
- Cam-FAI = „Nockenwellen“-Typ
- verminderte Taillierung des Schenkelhalses mit nockenwellenförmiger Deformität
- Torsionsstörungen des Femurs.
- Pincer-FAI = „Beißzangen“-Typ
- Oft Kombination der verschiedenen Formen und keine isolierte Form
- Funktionelle Ursache durch unphysiologische Bewegungsausmaße bei einer normal konfigurierten Hüfte möglich
- Unauffälliger radiologischer Befund schließt FAI und Labrumriss nicht aus.
- Symptome beruhen häufig auf Labrumläsion.
Pathogenese
- Entstehung der primären Cam-Morphologie kurz vor Verschluss der proximalen Femurwachstumsfuge
- Vermutlich Reaktion auf Scherkräfte, wie sie bei regelmäßiger und starker sportlicher Belastung auftreten können.
- Die Entstehung der Pincer-Morphologie ist deutlich schlechter untersucht.
- Auftreten meist erst im Alter von 30–40 Jahren bei Frauen
Prädisponierende Faktoren
- Außerordentliche körperliche (sportliche) Belastung während der Adoleszenz
- Sportarten mit supraphysiologischen Flexions-, Innenrotations- und Adduktionsbewegungen
- Fußball (endgradige Schussbewegung)
- Eishockey (Butterfly-Abwehrtechnik der Torwart*in)
- Hürdenlauf (Nachziehen des Sprungbeins)
- Kampfsport (verschiedene Fußtechniken)
ICD-10
- M24.85 Sonstige näher bezeichnete Gelenkschädigungen, anderenorts nicht klassifiziert: Beckenregion und Oberschenkel (Becken, Femur, Gesäß, Hüfte, Hüftgelenk, Iliosakralgelenk)
Diagnostik
Diagnostische Kriterien
- Kombination aus typischen radiologischen Zeichen eines Hüft-Impingements und entsprechenden bewegungsabhängigen Beschwerden
Differenzialdiagnosen
- Differenzialdiagnosen für das Leitsymptom Leistenschmerzen
- Hüfterkrankungen
- akute
- Läsion der Adduktorenmuskulatur (Muskelfaserriss, Zerrung)
- Stressfraktur
- Epiphyseolysis capitis femoris
- subakute
- Osteitis pubis
- Tendopathie der Adduktoren
- Sportlerhernie
- Psoas-Syndrom
- avaskuläre Femurkopfnekrose
- Labrumläsion
- bakterielle Arthritis des Hüftgelenks
- chronische
- Hüftarthrose
- Hüftdysplasie
- intraartikuläre freie Gelenkkörper
- akute
- Rückenerkrankungen
- lumbaler Bandscheibenvorfall mit Radikulopathie
- Dermatom L1
- Blockierungen im thorakolumbalen Übergang der Wirbelsäule
- Blockierungen des Sakroiliakalgelenks
- lumbaler Bandscheibenvorfall mit Radikulopathie
- Innere Erkrankungen
Anamnese
- Typische Symptomatik
- Leistenschmerzen, die initial nur nach starker Belastung auftreten.
- Schmerzexazerbation durch Flexion- und Innenrotationsbewegungen, z. B. nach langem Sitzen und dann Aussteigen aus Auto
- C-Zeichen: Lokalisationsangabe der Schmerzen durch Spreizen von Daumen und Zeigefinger über dem Leistenbereich
- Sportanamnese
- Sportart und Intensität der Belastung (Hochleistungssport?)
- Vorherige Erkrankungen und Operationen am Hüftgelenk
- im Kleinkindalter u. a. M. Perthes oder Hüftdysplasie?
- Bisher durchgeführte Therapiemaßnahmen und Bildgebung
Klinische Untersuchung
- Inspektion
- Rötung oder Schwellung
- Hinweis auf Bursitis oder bakterielle Arthritis
- Symmetrie der Becken- und Beinmuskulatur
- Eine muskuläre Dysbalance kann zu Fehlbelastung und Schmerzen führen.
- Schiefhaltung der Wirbelsäule
- Anhalt für mögliche Blockierungen
- Rötung oder Schwellung
- Palpation
- Druckschmerz über dem Os pubis
- Adduktorentendopathie
- Osteitis pubis
- Stressfraktur
- weicher äußerer Leistenring, ggf. mit Vorwölbung
- Druckschmerz über dem Os pubis
- Funktionsprüfung
- pDMS
- Erfassung des Bewegungsausmaßes der Hüftgelenke im Seitenvergleich
- Spezifische Tests
- FADIR-Test7= ventraler Impingement-Provokationstest
- Patient*in in Rückenlage
- kombinierte Bewegung von Flexion, Adduktion und Innenrotation (FADIR)
- Aufeinandertreffen von anterosuperiorem Pfannenrand und Femur
- dadurch Provokation der typischen Schmerzen
- aussagekräftigste klinische Untersuchung bei FAI
- Vergleich mit Gegenseite
- dorsaler Impingement-Provokationstest
- Patient*in in Rückenlage auf der Liege
- Hüfte an unterem Ende der Liege, Beine überhängend
- Überstreckung im Hüftgelenk mit gleichzeitiger Außenrotation und Abduktion
- Aufeinandertreffen von posteroinferiorem Pfannenrand und Femur
- Drehmann-Zeichen
- Dient dem Ausschluss einer Epiphyseolysis capitis femoris (orthopädischer Notfall).
- positiv: spontane Außenrotation bei zunehmender Beugung im Hüftgelenk
- diagnostische Infiltration des Hüftgelenks mit Lokalanästhetikum
- Schmerzfreiheit beweist eine intraartikuläre Schmerzursache.
- Ausschluss von z. B. ausstrahlenden Rückenschmerzen
- FADIR-Test7= ventraler Impingement-Provokationstest
Ergänzende Untersuchungen in der Hausarztpraxis
- Keine
Diagnostik bei Spezialist*innen
- Röntgen bildgebende Diagnostik der Wahl
- Beckenübersicht sowie axiale Aufnahme des Femurs (Dunn oder Lauenstein)
- MRT
- Indiziert bei V. a. FAI mit Labrumläsion8
- Die MR-Arthrografie ist die beste Möglichkeit, die Knorpeloberfläche und Labrumläsionen zu beurteilen; ist jedoch aufgrund der Invasivität bei Kindern und Jugendlichen zurückhaltender zu sehen.
Indikationen zur Überweisung
- Bei ausbleibender Wirkung einer konservativen Behandlung Überweisung an Orthopäd*in
Therapie
Therapieziele
- Schmerzfreiheit
- Rückkehr zu sportlichen Aktivitäten
- Verringerung des Risikos einer sekundären Coxarthrose
Allgemeines zur Therapie
- Zunächst konservativer Therapieversuch mit Sportkarenz, Physiotherapie, ggf. NSAR und intraartikulären Infiltrationen
- Bei Beschwerdepersistenz trotz Ausschöpfen der konservativen Therapie arthroskopische Impingement-Resektion
- Nach 2 Jahren bestehen keine signifikanten Unterschiede zwischen konservativ und arthroskopisch behandelten Patient*innen.9
Konservative Therapie
Sportkarenz
- Sportpause von 6 Wochen für Sportarten, die Laufen, Springen oder starke Hüftbeugung beinhalten.
- Vermeidung von endgradigen Hüftbewegungen
NSAR
- In der Akutphase zur Schmerzlinderung ggf. kurzfristig NSAR
- z. B. Ibuprofen 400 mg 1–1–1 für 3–4 Tage
Physiotherapie
- Initial physiotherapeutische Anleitung, später kontinuierliche Übungen in Eigenregie10
- Kräftigungsübungen, insbesondere der Hüftabduktoren
- Optimierung der Rumpfstabilität
- Dehnungsübungen zur Verbesserung der Beweglichkeit des Hüftgelenks
- Dauer mind. 6 Wochen10
Intraartikuläre Injektion
- Bei ausbleibender Besserung unter Physiotherapie
- Typischerweise mit Glukokortikoid und Lokalanästhetikum
Operative Therapie
- Bei persistierenden Beschwerden trotz Ausschöpfen der konservativen Therapie über 6 Monate
- Wichtig: Bei bereits bestehenden arthrotischen Hüftveränderungen ist die operative Intervention kontraindiziert.11
- Arthroskopisches Vorgehen mit Resektion der Cam-Morphologie und ggf. Refixation oder Glättung von Labrumläsionen
- Bei Pincer-Morphologie oder Torsionsstörungen des Femurs können komplexe Operationen mit Osteotomie notwendig sein.
Verlauf, Komplikationen und Prognose
Verlauf
- In den meisten Fällen schleichender Verlauf mit progredienten Schmerzen bei Belastung, am Ende sind dauerhafte Beschwerden bei täglichen Aktivitäten möglich.
Komplikationen
- Sekundäre Hüftarthrose
- Labrumläsionen
Prognose
- Die klinischen Ergebnisse sind auch über lange Nachverfolgungszeiträume positiv, und die Return-to-sport-Rate ist über verschiedene Sportarten hinweg hoch.
- Bis zu 1/3 der Patient*innen sind jedoch nach 2 Jahren noch symptomatisch, sowohl bei konservativer als auch chirurgischer Therapie.9
- Nach operativer Therapie können jugendliche Patient*innen in > 90 % der Fälle zu ihrer ursprünglichen sportlichen Aktivität zurückkehren.
Patienteninformationen
Patienteninformationen in Deximed
Quellen
Literatur
- Lee WD, Kang C, Hwang DS, et al. Descriptive Epidemiology of Symptomatic Femoroacetabular Impingement in Young Athlete: Single Center Study. Hip Pelvis 2016; 28(1): 29-34. www.ncbi.nlm.nih.gov
- Clohisy JC, Baca G, Beaulé PE, et al. Descriptive epidemiology of femoroacetabular impingement: a North American cohort of patients undergoing surgery.. Am J Sports Med 2013; 41(6): 1348-56. www.ncbi.nlm.nih.gov
- Rankin AT, Bleakley CM, Cullen M. Hip Joint Pathology as a Leading Cause of Groin Pain in the Sporting Population: A 6-Year Review of 894 Cases. Am J Sports Med 2015 Jul; 43(7): 1698-703. pmid:25964274 PubMed
- Gosvig KK, Jacobsen S, Sonne-Holm S, et al. The prevalence of cam-type deformity of the hip joint: a survey of 4151 subjects of the Copenhagen Osteoarthritis Study. Acta Radiol 2008; 49(4): 436-41. www.ncbi.nlm.nih.gov
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- Martin RL, Sekiya JK. The interrater reliability of 4 clinical tests used to assess individuals with musculoskeletal hip pain. J Orthop Sports Phys Ther 2008; 38: 71-7 PubMed
- Bredella MA, Stoller DW. MR imaging of femoroacetabular impingement. Magn Reson Imaging Clin N Am 2005; 13: 653. PubMed
- Mansell NS, Rhon DI, Meyer J, et al. Arthroscopic Surgery or Physical Therapy for Patients With Femoroacetabular Impingement Syndrome: A Randomized Controlled Trial With 2-Year Follow-up. Am J Sports Med 2018; 46(6): 1306-14. www.ncbi.nlm.nih.gov
- Mansell NS, Rhon DI, Marchant BG, et al. Two-year outcomes after arthroscopic surgery compared to physical therapy for femoracetabular impingement: A protocol for a randomized clinical trial. BMC Musculoskelet Disord 2016; 4(17): 60. www.ncbi.nlm.nih.gov
- Zhang C, Li L, Forster BB, et al. Femoroacetabular impingement and osteoarthritis of the hip. Can Fam Physician 2015; 61(12): 1055-60. www.ncbi.nlm.nih.gov
Autor*innen
- Lino Witte, Dr. med., Arzt in Weiterbildung Allgemeinmedizin, Münster