Zusammenfassung
- Definition:Degenerativer Verschleiß der Fingergelenke.
- Häufigkeit:Sehr häufig, Frauen sind deutlich öfter betroffen.
- Symptome:Schleichender Beginn mit Schmerzen der Fingergelenke und Verstärkung der Symptomatik durch Kälte und Belastung.
- Befunde:Palpable harte, osteophytäre Verdickungen der Fingergelenke.
- Diagnostik:Weitere Untersuchungen sind in der Regel nicht notwendig.
- Therapie:Ergotherapie, Fingerübungen, Schutz vor Kälte und Nässe (Handschuhe tragen!). Bei Schmerzen topische Therapie mit Diclofenac. Falls nicht ausreichend, kurzzeitig Diclofenac oder Etoricoxib oral. Ultima ratio operative Maßnahmen.
Allgemeine Informationen
Definition
- Degenerativer Verschleiß der Fingergelenke
- Abgrenzung zu entzündlich-rheumatischen Formen des Fingergelenkbefalls
- keine oder nur sehr kurze (wenige Minuten) Morgensteifigkeit
- Entzündungswerte im Blut nicht oder nur minimal erhöht
- in der Gelenksonografie keine oder nur geringe Hyperperfusion oder Synovitis
- In der Regel polyartikuläres Befallsmuster
Einteilung
- Je nach Lokalisation Einteilung in verschiedene Formen
- Distales Interphalangealgelenk (DIP, Fingerendgelenk): Heberden-Arthrose
- Proximales Interphalangealgelenk (PIP, Fingermittelgelenk): Bouchard-Arthrose
- Fingergrundgelenk
- Daumensattelgelenk: Rhizarthrose
Häufigkeit
- Prävalenz von Arthrose in mindestens einem Fingergelenk:
- etwa jede 3. Frau und jeder 7. Mann
- Von Fingerpolyarthrose sind bis zu 10-mal mehr Frauen als Männer betroffen.
Ätiologie und Pathogenese
Primäre Arthrose
- Genetisch determiniert; insbesondere bei Frauen starke Penetranz, wenn erstgradige weibliche Verwandte betroffen sind
- Zusätzlich sehr wahrscheinlich hormonelle Einflüsse, da viel mehr Frauen als Männer betroffen sind
- Vermehrte Belastung im Alltag oder Beruf spielt nur eine untergeordnete Rolle.
Sekundäre Arthrose
- Posttraumatisch: nach Fingerverletzungen mit Gelenkbeteiligungen
- Postinflammatorisch: klassisch bei rheumatoider Arthritis
- Bei anderen Grunderkrankungen, z. B. bei Hämochromatose, typischerweise im 2. und 3. Fingergrundgelenk
Prädisponierende Faktoren
- Positive Familienanamnese
- Übergewicht
- Weibliches Geschlecht
- Zustand nach Gelenkverletzung
ICD-10
- M15.1 Heberden-Knoten (mit Arthropathie)
- M15.2 Bouchard-Knoten (mit Arthropathie)
- M19.04 Primäre Arthrose sonstiger Gelenke, inkl. Hand
- M19.14 Posttraumatische Arthrose sonstiger Gelenke, inkl. Hand
Diagnostik
Diagnostische Kriterien
- Meist ist eine klinische Diagnose durch die typische Anamnese und den klinischen Befund möglich.
- Zur Differenzialdiagnostik ggf. Labor und Bildgebung
Differenzialdiagnosen
Anamnese
- Langsamer, schleichender Beginn
- Verdickung einzelner Fingergelenke (durch Osteophyten), meist ohne Schmerzen
- Am häufigsten ist das Daumensattelgelenk betroffen; an den Langfingern vor allem die Endgelenke, gefolgt von den Mittelgelenken.
- Grundgelenke eher typisch für rheumatoide Arthritis oder Hämochromatose
- Im Verlauf treten Schmerzen nach Belastung oder bei nasskalter Exposition auf.
- Phasen aktivierter Arthrose mit Überwärmung, Rötung und Schwellung möglich.
- Im Endstadium starke Fehlstellungen mit Bewegungseinschränkungen
- Fingerpolyarthrosen sind oft mit Gonarthrose assoziiert.
Klinische Untersuchung
- Palpable harte, osteophytäre Verdickungen der Fingergelenke
- Weich-palpable Schwellungen durch Gelenkerguss sind eher typisch für rheumatoide Arthritis.
- Meist druckdolent
Ergänzende Untersuchungen in der Hausarztpraxis
- Labor nur bei Unsicherheit bzgl. der Diagnose
- Entzündungsparameter und Antikörper gegen zyklisch citrullinierte Peptide (CCP-AK) bei rheumatischer Arthritis
- Ferritin und Transferrinsättigung sind bei Hämochromatose erhöht.
Diagnostik bei Spezialist*innen
- Bildgebung nur bei Unsicherheit bzgl. der Diagnose
- Im Röntgen typische Veränderungen der Arthrose:
- Gelenkspaltverschmälerung
- osteophytäre Anbauten
- Geröllzysten
- subchondrale Sklerosierungen
- ggf. Gelenkfehlstellung
Indikationen zur Überweisung
- Bei Versagen der konservativen Therapie und starken Beschwerden Überweisung an Handchirurg*in für mögliche operative Therapie
Therapie
Therapieziele
- Funktionserhalt
- Schmerzlinderung
Empfehlungen für Patient*innen
- Beim Tragen schwerer Gegenstände beide Hände benutzen
- Beim Kochen Töpfe und Pfannen mit zwei Henkeln benutzen
- Hilfsmittel nutzen, z. B. zum Öffnen von Schraubverschlüssen, zum Drehen von Schlüsseln oder als Griffverdickung, um Kraft auf Gelenke zu verringern
- Benutzen von Wäscheklammern mit Federspannung vermeiden (zu hohe Kraftaufwendung)
- Auswringbewegungen vermeiden und Auswringhilfe benutzen
- Handorthese bei schwerer Tätigkeit und Rhizarthrose tragen
- Regelmäßig Fingertraining durchführen
- Warme Handbäder
- Kälte meiden und rechtzeitig Handschuhe tragen
- Beim Kartenspielen Kartenhalter benutzen
Allgemeines zur Therapie
- Es gibt drei verschiedene Therapieoptionen, die abhängig von Beschwerdebild angewendet werden:
- nichtmedikamentös konservativ
- medikamentös
- operativ
- Für die Therapie der Arthrose des Daumensattelgelenks siehe auch Artikel Rhizarthrose
Nicht-medikamentöse konservative Therapie
- Fingertraining
- für alle Patient*innen empfohlen
- beispielhafte Übungen
- (Luft-)Klavierspielen
- Ballen von halben und ganzen Fäusten
- Zusammenführen von Daumen und den übrigen vier Fingern
- abwechselnd Strecken und Spreizen der Finger
- Physikalische Therapie
- zur Schmerztherapie, ähnlich effektiv wie Medikamente
- bei „kalten“ schmerzenden Gelenken: lokale Wärmeanwendungen
- bei aktivierter Arthrose (Wärme, Rötung und Schwellung): Kälteapplikation
- Schutz vor Kälte und Nässe
- Handschuhe von Oktober–April anziehen.
- Anstrengende Handarbeit vermeiden.
- Ergotherapie
- Handorthesen
- bei Rhizarthrose während Belastung der Hand
Medikamentöse Therapie
- NSAR-haltige Gele oder Salben: Mittel der Wahl
- Wegen geringerer Nebenwirkungen vor allem bei älteren Patient*innen der systemischen Gabe vorzuziehen.
- Cochrane-Analyse: Diclofenachaltige Topika sind vergleichbar gut schmerzreduzierend wie orale NSAR.1
- Beispiel: Diclofenac 10 mg/g Schmerzgel
- ab 14. Lebensjahr
- 3 x täglich dünn auftragen und leicht einreiben.
- Von der Anwendung eines Okklusivverbands wird abgeraten.
- max. 9 g pro Tag (entsprechend 90 mg Diclofenac)
- Systemisch NSAR oder Coxibe
- Falls die lokale NSAR-Applikation nicht ausreicht.
- in niedrigst möglicher Dosis so kurz wie möglich
- Laut einer Metaanalyse ist Etoricoxib 60 mg/d oder Diclofenac 150 mg/d am effektivsten bezüglich Schmerzreduktion und Funktion.2
- Opioide
- Einsatz wegen starker Nebenwirkungen bei Arthrose nicht indiziert2
- SADOA (Slow Acting Drugs in Osteoarthritis), z. B. Glucosamin und Chondroitinsulfat
- in Studien widersprüchliche Ergebnisse ohne sichere Belege für chondroprotektive Wirkung
Operative Therapie
- Bei starken therapierefraktären Schmerzen kommen verschiedene Operationsverfahren in Betracht.
- Die Operationstechnik ist abhängig vom Ausmaß der Gelenkzerstörung und von der notwendigen Funktionsfähigkeit des Gelenks.
- Beispielsweise ist die Versteifung der Fingerendgelenke mit einem geringen Funktionsverlust der Hand verbunden bei gleichzeitig oft guter Schmerzlinderung.
- Endoprothesen für Fingermittelgelenke sind vorhanden, aber in Funktion und Haltbarkeit den Knie- oder Hüftprothesen deutlich unterlagen.
- Insbesondere für Rhizarthrose gibt es diverse OP-Verfahren, da die Funktion des Daumens möglichst erhalten werden soll.
- Siehe für die Beschreibung der Optionen den Artikel Rizarthrose.
Verlauf, Komplikationen und Prognose
Verlauf
- Schleichender Beginn über viele Jahre
- Das Fortschreiten der Fingerpolyarthrose kann medikamentös nicht verhindert werden.
Komplikationen
- Schwere Deformitäten mit Funktionsverlust der Hand
- Chronische Schmerzen
Prognose
- Durch regelmäßige Durchführung der nichtmedikamentösen konservativen Maßnahmen, insbesondere des Fingertrainings, kann der Beginn therapiebedürftiger Schmerzen meist hinausgezögert werden.
- Nach Ausschöpfen der konservativen Therapiemaßnahmen kann durch operative Verfahren meist noch Schmerzlinderung erzielt werden.
Patienteninformationen
Patienteninformationen in Deximed
Illustrationen

Heberden-Knoten: Verdickung des Fingerendgelenks durch Osteophyten
Quellen
Literatur
- Derry S, Moore RA, Rabbie R. Topical NSAIDs for chronic musculoskeletal pain in adults. Cochrane Database of Systematic Reviews 2021. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
- Da Costa BR, Pereira TV, Saadat P, et al. Effectiveness and safety of non-steroidal anti-inflammatory drugs and opioid treatment for knee and hip osteoarthritis: network meta-analysis. BMJ 2021; 375: 2321. www.bmj.com
Autor*innen
- Lino Witte, Dr. med., Arzt in Weiterbildung Allgemeinmedizin, Frankfurt a. M.