Rhizarthrose

Zusammenfassung

  • Definition:Degenerative Veränderungen im Daumensattelgelenk.
  • Häufigkeit:Häufige Erkrankung bei älteren Menschen, insbesondere Frauen.
  • Symptome:Schmerzen, Steifheit und Schwäche im Daumengrundgelenk mit eingeschränkter Funktionsfähigkeit.
  • Befunde:Häufig Schwellung und palpable Osteophyten. Druckschmerz über Gelenkspalt. Positiver Grind-Test (axiale Stauchung des Sattelgelenks mit kombinierter Drehung).
  • Diagnostik:Röntgen in 2 Ebenen.
  • Therapie:Multimodale konservative Therapie. Bei Therapieversagen verschiedene chirurgische Optionen.

Allgemeine Informationen

Definition

  • Degenerative Veränderungen im Daumensattelgelenk (1. Karpometakarpalgelenk)1
  • Primäre Arthrose: Verschleißerscheinungen ohne eindeutige Ursache
  • Sekundäre Arthrose: nachweisbare Ursache für vermehrte Degeneration

Klassifikation

  • Radiologische Klassifikation nach Eaton/Littler2
    • Stadium I: ggf. Gelenkspalterweiterung
    • Stadium II: Gelenkspaltverschmälerung, Osteophyten, freie Gelenkkörper < 2 mm
    • Stadium III: progrediente Gelenkspaltverschmälerung, Osteophyten, freie Gelenkkörper > 2 mm
    • Stadium IV: zusätzliche Arthrose des Skaphotrapezotrapezoidalgelenks

Häufigkeit

  • Nach distaler Interphalangealgelenk(DIP)-Arthrose häufigste Arthrose des Handskeletts
    • in 20–30 % bilaterales Auftreten
  • Prävalenz
    • auf Basis radiologischer Befunde 7 % unter Männern und 15 % unter Frauen, häufig jedoch ohne Beschwerden3
    • starker Anstieg ab 50. Lebensjahr1
      • Alle 10 Jahre steigt das relative Risiko um das 3,4-Fache.
    • im Alter von > 75 Jahre bei Männern zu 25 % und bei Frauen zu 40 % radiologisch auffällige Rhizarthrose4
  • Geschlecht
    • Frauen sind etwa doppelt so häufig betroffen wie Männer.1
  • Kann auch bei jüngeren Menschen auftreten, insbesondere posttraumatisch.

Ätiologie und Pathogenese

  • Primäre Arthrose1
    • Die sattelförmige Gelenkfläche erlaubt eine hohe Beweglichkeit, aber das Gelenk ist dadurch auch relativ instabil.
    • Die hohe alltägliche Belastung des Daumens führt gepaart mit Instabilität oft zu Verschleißerscheinungen.
  • Sekundäre Arthrose
    • posttraumatisch, insbesondere nach intraartikulären Frakturen oder Kapselbandverletzungen mit Instabilität des Gelenks
    • entzündlich, z. B. bei Erkrankungen aus dem rheumatischen Formenkreis

Prädisponierende Faktoren

  • Übergewicht
  • Frühere Verletzungen
  • Alter4
  • Weibliches Geschlecht
    • vermutlich wegen generell höherer Bandlaxität1
  • Familiäre Belastung
  • Mechanische Beanspruchung durch manuelle Tätigkeiten1
  • Entzündliche Erkrankungen (z. B. rheumatische Arthritis)

ICD-10

  • M18 Rhizarthrose [Arthrose des Daumensattelgelenkes]
    • M18.0 Primäre Rhizarthrose, beidseitig
    • M18.1 Sonstige primäre Rhizarthrose inkl. primäre Rhizarthrose einseitig
    • M18.2 Posttraumatische Rhizarthrose, beidseitig
    • M18.3 Sonstige posttraumatische Rhizarthrose inkl. posttraumatische Rhizarthrose einseitig
    • M18.4 Sonstige sekundäre Rhizarthrose, beidseitig
    • M18.5 Sonstige sekundäre Rhizarthrose, einseitig

Diagnostik

Diagnostische Kriterien

  • Typische Symptome und Befunde
  • Bestätigung mittels Röntgen 

Differenzialdiagnosen

  • Gicht
  • (Juvenile) Arthritis
  • Ringbandstenose des Daumens (Tendovaginitis de Quervain)
  • Karpaltunnelsyndrom
  • Pseudarthrose (Scheingelenkbildung) nach Knochenbruch
  • Skaphoidfraktur
  • Scaphotrapezialarthrose bzw. Triscaphoidarthrose (STT-Arthrose)
  • Arthrose der Sesambeine
  • Zysten oder Ganglien im Daumensattelgelenk
  • RSI-Syndrom (Repetitive Strain Injury, „Mausarm")
  • Kompression des N. radialis oder zervikale Wurzelkompression
  • Intersektionssyndrom
    • selten
    • Sehnenscheidenentzündung im Kreuzungsbereich des 1. und 2. Sehnenfachs
  • Styloiditis radii

Anamnese

  • Schmerzen, Steifheit und Schwäche im Daumensattelgelenk mit eingeschränkter Funktion
    • klassisch: Probleme beim Aufdrehen einer Flasche
  • Schwellung möglich
  • Typischerweise Anlauf- und Belastungsschmerzen
  • Beschwerden werden in der Regel langsam stärker, im Verlauf auch Ruheschmerzen.
  • Vorerkrankungen
    • Trauma
    • rheumatische Erkrankungen
    • Stoffwechselerkrankungen, z. B. Gicht
  • Familienanamnese: familiär gehäuftes Auftreten

Klinische Untersuchung

  • Inspektion
    • häufig Konturänderungen des Sattelgelenks (knöcherne Anbauten/Deformitäten/Subluxationen)
    • bei aktivierter Arthrose Rötung und Überwärmung
    • Atrophie der Thenarmuskulatur
    • Forestier-Zeichen
      • Adduktionskontraktur des 1. Mittelhandknochens mit kompensatorischer Überstreckung im Daumengrundgelenk
  • Palpation
    • Schmerzempfindlichkeit über Gelenkspalt
    • oft tastbare Osteophyten
  • Funktionstests
    • aktive und passive Beweglichkeit im Seitenvergleich
      • Beweglichkeit auf betroffener Seite deutlich eingeschränkt und schmerzhaft
    • Grind-Test
      • Untersucher*in fasst 1. Mittelhandknochen und übt axiale Belastung auf Sattelgelenk unter rotierenden Bewegungen aus.
      • positiv bei Schmerzprovokation
    • Kompressionstest (nach Glickel)
      • Kompression der Basis des 1. Mittelhandknochens bei gleichzeitiger Dorsalextension des Daumens
      • positiv bei Schmerzprovokation

Diagnostik bei Spezialist*innen

Bildgebung

  • Obligat für die Diagnostik ist eine nativradiologische Untersuchung.
    • 2 Ebenen: posterior-anteriorer und streng seitlicher Strahlengang
  • Kernspintomografische Untersuchung nur bei diagnostischer Unsicherheit, um andere Erkrankungen wie Tendopathien und akute rheumatoide Arthritis auszuschließen.

Indikationen zur Überweisung

  • Bei Beschwerdepersistenz trotz Ausreizung der konservativen Therapiemaßnahmen

Therapie

Therapieziele

  • Schmerzen lindern
  • Funktion wiederherstellen/verbessern

Allgemeines zur Therapie

  • Zunächst in allen Stadien konservative Maßnahmen initiieren.
    • multimodaler konservativer Therapieansatz, ggf. in Verbindung mit Orthesen
    • Nur wenn dadurch keine ausreichende Besserung erzielt werden kann, kommen operative Maßnahmen in Betracht.
  • „Nicht das Röntgenbild behandeln!“
    • Die klinische Symptomatik korreliert oft nicht mit dem radiologischen Befund.
    • Auch ausgeprägte radiologische Arthrosezeichen müssen bei Beschwerdefreiheit nicht behandelt werden.

Empfehlungen für Patient*innen

  • Schmerzhafte Aktivitäten vermeiden
  • Physikalische Therapien anwenden: Wärme (bei chronischen Schmerzen) und Kälte (in akuten Phasen)

Konservative Therapie

Analgetika

  • Systemische NSAR und COX-2-Hemmer mit moderater Wirksamkeit
    • Cave: wegen Nebenwirkungen nur schmerzgesteuert und intermittierend einnehmen, ggf. gemeinsam mit PPI!
  • Topische Diclofenac-Präparate
    • in einer Metaanalyse in den ersten beiden Wochen bessere Wirkung als bei Placebo, danach Wirkung auf Niveau des Placebos5
    • in RCT leichte, aber signifikante Wirkung bei 4 x tgl. Verwendung nach 4, 6 und 8 Wochen6

Intraartikuläre Injektionstherapie

  • Intraartikuläre Applikation von Hyaluronsäure und Kortison mit kurzfristiger Schmerzlinderung, eine langfristige Wirkung ist allerdings fraglich.

Handorthese

  • Metaanalyse bezüglich der Anwendung einer Handorthese7
    • geringe Evidenz für langfristige Schmerzlinderung und moderate Evidenz für langfristige Funktionsverbesserung

Physiotherapie

  • Gezielte Physiotherapie (Mobilisierung des Gelenks, Stärkung der Thenarmuskulatur) in einem multimodalen Therapiekonzept scheint zumindest kurzfristig die Schmerzen zu lindern.8

Röntgenreizbestrahlung

  • In einer (nicht-kontrollierten) Studie mit 101 bestrahlten Rhizarthrosen waren nach 12 Monate 70 % der Patient*innen beschwerdegebessert und 26 % komplett beschwerdefrei.9
  • Die Deutsche Gesellschaft für Radioonkologie nennt die Bestrahlung daher als erfolgreiche, kostengünstige und risikoarme Alternative zu anderen Therapieformen.
    • aufgrund des allgemeinen Strahlenrisikos bei jüngeren Patient*innen jedoch sorgfältige Nutzen-Risiko-Abwägung

Radiosynoviorthese

  • Nuklearmedizinisches Verfahren zur Wiederherstellung der Gelenkinnenhaut bzw. ihrer Funktion durch lokale Strahlenwirkung nach intraartikulärer Radionuklidapplikation
  • Durchführung
    • sterile intraartikuläre Injektion eines radioaktiven Nuklids (Erbium-169 bei Daumensattelgelenk)
    • anschließend Ruhigstellung des Gelenks für 48 h
  • Kaum Evidenz zur Wirksamkeit zu finden

Operative Therapie

  • Bei therapierefraktären Schmerzen gibt es verschiedene Operationsmethoden:
    • bei jüngeren Patient*innen im Stadium I und II gelenkerhaltende Maßnahmen wie arthroskopische Synovialektomie oder Korrekturosteotomien
    • endoprothetischer Ersatz des Daumensattelgelenks (nur bis Stadium III, da im Stadium IV zusätzliche Arthrose des STT-Gelenkes nur Resektionsarthroplastik nach Epping erlaubt)
      • Vorteile: kurze Rehabilitationszeit, verbleibende Therapieoption im Sinne einer sekundären Resektionsarthroplastik
      • Nachteile: hohe Komplikations- und Revisionsrate, hohe Kosten
    • traditionelle Resektionsarthroplastik nach Epping mit Resektion des Os trapezium
      • Vorteile: niedrigere Kosten, weniger Komplikationen
      • Nachteile: teilweise sehr lange Rehabilitationszeit
    • Arthrodese ist kaum noch im Einsatz.

Verlauf, Komplikationen und Prognose

Verlauf

  • Ohne Therapie progrediente Schmerzen und Funktionseinschränkungen sowie Deformität des Daumens

Komplikationen nach Operation

Prognose

  • Die Arthrose kann durch konservative Therapien nicht geheilt werden, es können jedoch Symptome gelindert und die Notwendigkeit einer Operation verzögert werden.
  • Mit chirurgischem Eingriff in der Regel gute Schmerzlinderung und Funktionsfähigkeit

Patienteninformationen

Patienteninformationen in Deximed

Quellen

Literatur

  1. Verrijdt G, De Landtsheer A, Mellen A, et al. Rhizarthrosis in banknote processing workers: a retrospective cohort study. Occupational Medicine 2017; 67(8): 615-20. academic.oup.com
  2. Eaton RG, Littler JW. Ligament reconstructi on for the painful thumb carpometacarpal joint. J Bone Joint Surg Am 1973; 55 (8): 1655-1666. pmid:4804988 PubMed
  3. Bakri K, Moran SL. Thumb carpometacarpal arthritis. Plast Reconstr Surg. 2015 Feb;135(2):508-20. doi: 10.1097/PRS.0000000000000916. DOI
  4. Fontana L et al. Osteoarthritis of the thumb carpometacarpal joint in women and occupational risk factors: a case-control study. Hand Surg Am. 2007; 32 (4): 459–65. pmid:17398355 PubMed
  5. Derry S, Moore RA, Rabbie R. Topical NSAIDs for chronic musculoskeletal pain in adults. Cochrane Database of Systematic Reviews 2012, Issue 9. Art. No.: CD007400. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
  6. Altman RD, Dreiser RL, Fischer CL, et al. Diclofenac sodium gel in patients with primary hand osteoarthritis: a randomized, double-blind, placebo-controlled trial. J Rheumatol 2009; 36: 1991-9. PubMed
  7. Meireles SM, Jones A, Natour J. Orthosis for rhizarthrosis: A systematic review and meta-analysis. Seminars in Arthritis and Rheumatism 2019; 48(5): 778-90. www.sciencedirect.com
  8. Aebischer B, Elsig S, Taeymans J. Effectiveness of physical and occupational therapy on pain, function and quality of life in patients with trapeziometacarpal osteoarthritis – A systematic review and meta-analysis. Hand Ther 2016; 21(1): 5-15. www.ncbi.nlm.nih.gov
  9. Kaltenborn A, Bulling E, Nitsche M, et al. The field size matters: low dose external radiotherapy for thumb carpometacarpal osteoarthritis. Strahlenther Onkol 2016; 192: 582-8. www.ncbi.nlm.nih.gov

Autor*innen

  • Lino Witte, Dr. med., Arzt in Weiterbildung, Allgemeinmedizin, Frankfurt

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