Interkostalmyalgie/Brustwandsyndrom

Zusammenfassung

  • Definition:Schmerz im Bereich des Brustkorbs, der muskuloskelettaler Herkunft ist.
  • Häufigkeit:Das Brustwandsyndrom ist die häufigste Ursache für Brustschmerz in der hausärztlichen Versorgung (ca. 47 %).
  • Symptome:Häufig stechender Schmerz, meist linksthorakal.
  • Befunde:Lokalisierte Muskelverspannung, Reproduzierbarkeit des Schmerzes durch Palpation.
  • Diagnostik:Ergänzend zur Anamnese einfache klinische Untersuchung. Für Brustwandsyndrom sprechen lokalisierte Muskelverspannung, stechender Schmerz, Reproduzierbarkeit durch Palpation. Gegen Brustwandsyndrom sprechen bekannte Gefäßerkrankung, Luftnot, respiratorischer Infekt, Hausbesuch notwendig, Husten. Erweiterte Diagnostik bei differenzialdiagnostisch V. a. andere Ursachen des Brustschmerzes (z. B. KHK, Lungenembolie).
  • Therapie:Symptomorientiert, „abwartendes Offenhalten“, Beruhigung der Patient*innen.

Allgemeine Informationen

Definition

  • Schmerz im Bereich des Brustkorbs, der muskuloskelettaler Herkunft ist.
  • Für den hausärztlichen Bereich sollte zusammenfassend der Begriff „Brustwandsyndrom“ (chest wall syndrome) verwendet werden.1
    • Historisch wurde das Brustwandsyndrom häufig in verschiedene Entitäten ohne eindeutige ätiologische Zuordnung gegliedert wie Kostosternalsyndrom, Sternalsyndrom, Tietze-Syndrom u. a.1

Häufigkeit

  • Häufiger Konsultationsgrund in der Primärversorgung
  • Brustschmerz betrifft 20–40 % der Bevölkerung im Lauf des Lebens.2 
  • Konsultationsrate wegen Brustschmerz 0,7–3,0 % im allgemeinärztlichen Bereich3
  • Das Brustwandsyndrom ist mit 47 % die häufigste Ursache für Brustschmerz in der hausärztlichen Versorgung.1
  • Bei den meisten Patient*innen mit Brustwandsyndrom ist der Schmerz retrosternal und/oder linksthorakal lokalisiert.1
  • Der Case-Mix von Patient*innen mit Brustschmerzen im hausärztlichen Bereich unterscheidet sich signifikant von Notaufnahmen/vom stationären Bereich, wo stabile KHK/ACS im Vordergrund stehen.4-5

Problemstellung für die hausärztliche Praxis

  • Patient*innen mit akuten Brustschmerzen sind eine Herausforderung für die Hausärzt*innen, da ein breites Spektrum von harmlosen bis zu lebensbedrohlichen Diagnosen infrage kommt.
  • Sie sind bei der Abklärung mit dem Dilemma der Primärversorgung konfrontiert:,
    • Sensitivität maximieren = keine bedrohliche Erkrankung übersehen.
    • Spezifität berücksichtigen = Vermeiden von Überdiagnostik und -therapie.
  • Im hausärztlichen Bereich steht das Brustwandsyndrom von der Häufigkeit im Vordergrund, auf Platz 2 folgen allerdings die Herzerkrankungen.

Ätiologie und Pathogenese

  • Klinisches Syndrom ohne klar definierte Ätiologie(n)
  • Schmerzhafte Affektionen des Skelett- und Muskelsystems, die unter dem Begriff des „Brustwandsyndroms“ zusammengefasst werden.
  • Häufig liegt eine lokale Muskelverspannung vor.

Prädisponierende Faktoren

ICPC-2

  • L04 Brustkorbsympt./-beschwerd. (L)
  • L99 muskuloskelet.Erkrankung, andere

ICD-10

  • M79 Sonstige Krankheiten des Weichteilgewebes, anderenorts nicht klassifiziert
    • M79.1 Myalgie

Diagnostik

Diagnostische Kriterien

  • Wichtige diagnostische Kriterien sind:1
    • lokalisierte Muskelverspannung
    • stechende Schmerzen
    • Reproduzierbarkeit des Schmerzes durch Palpation
    • Abwesenheit von Husten.

Differenzialdiagnosen

  • Weitere Erkrankungen des neuromuskuloskelettalen Systems mit Manifestation Brustschmerz:
    • Dysfunktionen der thorakalen Wirbelgelenke
    • (Costo)vertebrale und costotransversale Dysfunktionen
    • Sternokostalgelenksaktivierung durch Überlastung bei muskulärer Dysbalance
    • reaktive Sternokostalgelenksarthritis
    • Trigger-Punkte des M. Serratus anterior sowie der Pectoralis-major- und Pectoralis-minor-Muskulatur
    • Rippenfraktur nach Hustenattacken
    • Wirbelkörper-Spontanfrakturen bei Osteoporose
    • ossäre Primärtumoren und Metastasen im Bereich von Rippen und Sternum
    • Osteofraktose und Infraktionen einzelner Wirbelkörper bei Osteoporose (Thoraxwandschmerzen durch pseudoradikuläre Ausstrahlung)
    • Spondylarthrosen, Chondrosen und Osteochondrosen der Brustwirbelsäule (pseudoradikuläre Ausstrahlung)
    • Interkostalneuralgie6
    • isolierte Neuralgie des Nervus intercostovertebralis
    • Zosterneuralgie bzw. Post-Zoster-Neuralgie
    • Frühzeichen entzündlicher Systemerkrankungen wie Encephalitis disseminata
  • Chronisches Koronarsyndrom/akutes Koronarsyndrom
  • Sonstige kardiovaskuläre Erkrankungen, z. B. Lungenembolie
  • Erkrankungen des Ösophagus 
  • Gastrointestinale Erkrankungen
  • Lungenerkrankungen
  • Traumata
  • Psychogen

Anamnese und klinische Untersuchung

  • Gezielte Anamnese, sorgfältige körperliche Untersuchung und klinische Erfahrung sind die wichtigsten hausärztlichen Instrumente zur Abgrenzung eines Brustwandsyndroms gegen potenziell gefährliche Differenzialdiagnosen.
  • Charakteristika des Brustwandsyndroms, die im Vergleich zu anderen Brustschmerzursachen am besten diskriminierend wirken:5,7
    • Schmerz nicht drückend oder beengend
    • Lokalisation im linken oder median-linken Teil der Brustwand
    • gut abgrenzbare Lokalisation
    • nicht belastungsabhängig
    • Veränderung durch Bewegung/Körperhaltung
    • Reproduzierbarkeit durch Palpation.
  • Weitere Kriterien, die auf einen nichtkardialen Brustschmerz hinweisen:8
    • Episodendauer über 30 min oder unter 5 sec
    • Zunahme des Schmerzes beim Einatmen
    • Schmerzlinderung innerhalb einiger Sekunden nach dem Hinlegen
    • Schmerzlinderung innerhalb einiger Sekunden nach Nahrungsaufnahme
  • Zur Einschätzung sind folgende klinischen Kriterien empfohlen, die für (+) oder gegen (–) das Brustwandsyndrom sprechen:
    • lokalisierte Muskelverspannung (+)
    • stechender Schmerz (+)
    • durch Palpation reproduzierbar (+)
    • bekannte Gefäßerkrankung (–)
    • Luftnot (–)
    • respiratorischer Infekt (–)
    • Hausbesuch notwendig (–)
    • Husten (–).

Ergänzende Untersuchungen in der Hausarztpraxis

Therapie

Therapieziele

  • Patient*innen beruhigen.
  • Symptome lindern.

Allgemeines zur Therapie

  • Prinzip des „abwartenden Offenhaltens“
    • symptombezogene Therapie und Verlaufskontrolle

Verlauf, Komplikationen und Prognose

Komplikationen

  • Keine

Verlauf und Prognose

  • Brustwandsyndrom ist ein häufiges klinisches Erscheinungsbild in der hausärztlichen Praxis mit:7
    • guter Prognose
    • niedriger Morbidität
    • keiner Mortalität.
  • Allerdings haben mehr als die Hälfte aller Patient*innen mit Brustwandsyndrom auch nach 6 Monaten immer noch Beschwerden.1 

Patienteninformationen

Worüber sollten Sie die Patient*innen informieren?

  • Das Brustwandsyndrom ist ungefährlich.
  • Es ist keine spezifische Therapie erforderlich.
  • Manchen Betroffenen helfen Entspannungsübungen und das Erlernen einer guten Atemtechnik.

Patienteninformationen in Deximed

Quellen

Literatur

  1. Bösner S, Becker A, Hani MA, et al. Chest wall syndrome in primary care patients with chest pain: presentation, associated features, and diagnosis. Fam Pract 2010; 27: 363-9. PubMed
  2. Ruigomez A, Rodriguez L, Wallander M, et al. Chest pain in general practice: incidence, comorbidity and mortality. Fam Pract 2006; 23: 167-174. pmid:16461444 PubMed
  3. Frese T, Mahlmeister J, Heitzer M, et al. Chest pain in general practice: Frequency, management, and results of encounter. J Family Med Prim Care 2016; 5: 61-66. doi:10.4103/2249-4863.184625 DOI
  4. Haasenritter J, Biroga T, Keunecke C, et al. Causes of chest pain in primary care – a systematic review and meta-analysis. Croat Med J 2015; 56: 422-430. doi:10.3325/cmj.2015.56.422 DOI
  5. Yelland M, Cayley W, Vach W. An Algorithm for the Diagnosis and Management of Chest Pain in Primary Care. Med Clin N Am 2010; 94: 349–374. doi:10.1016/j.mcna.2010.01.011 DOI
  6. Dureja GP. Intercostal Neuralgia: A Review. J Neurol Transl Neurosci 2017; 5: 1076. www.jscimedcentral.com
  7. Verdon F, Burnand B, Herzig L, et al. Chest wall syndrome among primary care patients: a cohort study. BMC Family Practice 2007; 8: 51. doi:10.1186/1471-2296-8-51 DOI
  8. Constant J. The Clinical Diagnosis of Nonanginal Chest Pain: The Differentiation of Angina from Nonanginal Chest Pain by History. Clin Cardiol 1983; 6: 11-16. pmid:6831781 PubMed

Autor*innen

  • Michael Handke, Prof. Dr. med., Facharzt für Innere Medizin, Kardiologie und Intensivmedizin, Freiburg i. Br.

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