Luxationen des Ellenbogens

Zusammenfassung

  • Definition:Einfache Ellenbogenluxation: rein ligamentäre Begleitverletzungen. Komplexe Ellenbogenluxation: begleitende Frakturen.
  • Häufigkeit:Zweithäufigste Luxation bei Erwachsenen. Inzidenz von 5–6/100.000 Personen.
  • Symptome:Schmerzen und Bewegungseinschränkung im Ellenbogengelenk, typischerweise nach Sturz auf Hand bei Supination und leichter Flexion im Ellenbogen.
  • Untersuchung:Deformität mit Einschränkung des Bewegungsumfangs. Bei dorsaler Luxation meist fixierte, federnde Beugestellung.
  • Diagnostik:Röntgen in 2 Ebenen vor und nach Reposition; ggf. Schnittbildgebung zur Beurteilung von Begleitverletzungen.
  • Therapie:Zeitnahe Reposition. Bei einfacher Luxation meist konservative Therapie, bei komplexer Luxation in der Regel Operation.

Allgemeine Informationen

Definition

Häufigkeit

  • Zweithäufigste Luxation bei Erwachsenen nach der Schulterluxation
  • In mehr als 80 % der Fälle dorsale Luxation
  • Inzidenz von 5–6/100.000 Personen1
  • Alter und Geschlecht
    • 1.–4. Lebensdekade: vor allem Männer
    • ab 5. Lebensdekade: mehrheitlich Frauen

Klinische Anatomie

  • Das Ellenbogengelenk ist ein Scharniergelenk aus folgenden Teilgelenken:
    • Articulatio humeroradialis: Radiusköpfchen und Capitulum humeri
    • Articulatio humeroulnaris: Incisura trochlearis der Ulna und Trochlea humeri 
    • Articulatio radioulnaris proximalis: proximale Anteile der Ulna und des Radius 
  • Besonders gefährdete Strukturen bei Luxation
    • Die Kollateralbänder nehmen regelhaft Schaden, sodass fast immer eine seitliche Instabilität resultiert.
    • Abscherfraktur Processus coronoideus
    • Radiusköpfchenfraktur
    • seltene Frakturen: Capitulum humeri, Humeruskondylen, Olekranon
    • Nervus ulnaris: Verläuft medialseitig im Sulcus nervi ulnaris.

Ätiologie und Pathogenese

  • 45 % der traumatischen Erstluxationen ereignen sich beim Sport.
  • Typischer Verletzungsmechanismus
    • Sturz auf die Hand unter axialer Krafteinwirkung bei Supination
      und leichter Flexion im Ellenbogen
    • Die Last des Körpers bewirkt einen Valgus- und Außenrotationstress.

Prädisponierende Faktoren

  • Gangunsicherheit, Sturzneigung
  • Verkehrsunfall
  • Kontaktsportarten, u. a. Football, Rugby, Ringen

ICD-10

  • S53.0 Luxation des Radiuskopfes
  • S53.1 Luxation sonstiger und nicht näher bezeichneter Teile des Ellenbogens

Diagnostik

Diagnostische Kriterien

  • Klinische Verdachtsdiagnose bei Deformität des Gelenks
  • Diagnosesicherung durch Röntgen

Differenzialdiagnosen

Anamnese

  • Analyse des Unfallhergangs
    • Verletzungsmechanismus
      • Sportverletzung
      • Sturz
      • Hochrasanztrauma
      • direktes oder indirektes Ellenbogentrauma
    • einwirkende Kräfte
      • Ausmaß und Richtung der Krafteinwirkung
    • Ellenbogenposition zum Zeitpunkt des Traumas
      • extendiert
      • flektiert
  • Symptome
    • Schmerzen und Bewegungseinschränkung im Ellenbogen
    • Motorische oder sensible Defizite?
  • Vorerkrankungen
  • Vorherige Verletzungen des Ellenbogens
  • Medikamente

Klinische Untersuchung

  • Inspektion
    • Schwellung im Ellenbogenbereich
    • Deformität im Seitenvergleich
    • bei dorsaler Luxation
      • Verkürzung des Unterarms im Seitenvergleich
      • Flexionsstellung
      • prominentes Olekranon
  • Palpation
    • Druckschmerz im Ellenbogenbereich
    • bei begleitender Fraktur Krepitationen
  • Funktionsprüfung
    • Einschränkung des Bewegungsumfangs; meist fixierte, federnde Beugestellung
      • Cave: Wenn überhaupt, dann nur eine sehr vorsichtige Untersuchung vor der Bildgebung, um keine weiteren Verletzungen zu verursachen!
    • Die periphere Durchblutung, Motorik und Sensibilität vor und nach der Reposition überprüfen.
    • nach Reposition in Analgosedierung dynamische Stabilitätskontrolle im Seitenvergleich unter Bildwandler-Kontrolle
      • Bewegungsausmaß: Flexion/Extension, Pro-/Supination
      • Stabilität unter Valgus- und Varusstress bei Streckung und 30-Grad-Flexion
      • Reluxationsneigung
  • Untersuchung auf Begleitverletzungen von Schulter, Oberarm, Unterarm, Handgelenk

Diagnostik bei Spezialist*innen

Röntgen

  • Vor und nach der Reposition jeweils Röntgenaufnahmen des Ellenbogens in zwei Ebenen (a. p. und seitlich)

MRT

  • Bei Reluxationstendenz zur Detektierung von Weichteilverletzungen und Knorpelläsionen

CT

  • Bei Verdacht auf ossäre Verletzung oder nicht-anatomischer Gelenkstellung nach Reposition

Indikationen zur Klinikeinweisung

  • Bei Verdacht auf eine Ellenbogenluxation Einweisung in Krankenhaus zur Reposition

Therapie

Therapieziel

  • Die Gelenkfunktion wiederherstellen.

Allgemeines zur Therapie

  • Frühzeitige Reposition anstreben.
  • Das Therapieregime nach Reposition wird noch diskutiert.
    • Es bestehen gewisse Behandlungsstandards, die jedoch nicht evidenzbasiert sind.
  • Bei rein ligamentärer Ellenbogenluxation meist konservatives Prozedere
  • Bei komplexer Ellenbogenluxation mit Begleitfrakturen ist oft ein operatives Vorgehen notwendig.

Reposition

  • Zeitnahe geschlossene Reposition des Gelenks nach Röntgenkontrolle unter i. v. Analgesie oder Analgosedierung
  • Reposition bei dorsaler Luxation
    • Patient*in in Rückenlage, Arm seitlich in ca. 90-Grad-Abduktion ausgelagert
    • Patientenellenbogen in 90-Grad-Flexion
    • axialer Längszug am Unterarm, gefolgt von Flexion im Ellenbogengelenk
  • Reposition bei ventraler Luxation
    • Patient*in in Rückenlage, Arm seitlich in ca. 90-Grad-Abduktion ausgelagert
    • Patientenellenbogen in 90-Grad-Flexion
    • Patientenoberarm wird durch den Ellenbogen der behandelnden Person auf dem Untergrund fixiert.
    • Unter Zug nach ventral schiebt die Ärzt*in den Unterarm mit eigenem Ellenbogen nach distal und reponiert den Unterarm schließlich nach dorsal.
  • Offene Reposition bei Repositionshindernis
    • notwendig in 1,5 % der Fälle 
  • Nach Reposition gespaltener immobilisierender Gipsverband, nicht einengend, mit regelmäßiger Kontrolle des neurovaskulären Status

Konservative Therapie

  • Indikationen
    • allgemeine oder lokale Kontraindikationen gegen die Operation
    • muskuläre Kompensation ohne Reluxationstendenz
    • geringe Belastungsanforderungen an Ellenbogen
    • Bereitschaft, das Aktivitätsniveau zu verringern.
    • höheres biologisches Alter
      • keine generelle Altersbeschränkung für Bandrekonstruktion
    • vorbestehende Arthrose
  • Vorgehen
    • kurzfristige Ruhigstellung, typischerweise in 90-Grad-Beugestellung bei dorsaler Luxation (< 1 Woche, dadurch signifikante Schmerzreduktion)
    • in Abhängigkeit der verletzten ligamentären Strukturen Ruhigstellung
      • in Pronation bei führend lateraler Kollateralbandruptur
      • in Supination bei führend medialer Kollateralbandruptur
      • in Neutralstellung bei Verletzung beider Kollateralbandkomplexe
    • frühfunktionelle, aktiv-assistierte physiotherapeutische Behandlung innerhalb 1 Woche nach Reposition
    • keine Belastung, Vermeidung von Varus-/Valgusstress
    • Belastungsaufbau nach 6–8 Wochen
    • Kontaktsport ab 12 Wochen

Operative Therapie

  • Indikationen
    • offene Luxation
    • erfolglose geschlossene Reposition
    • Luxation mit operationsbedürftiger Nervenverletzung
    • Luxation mit operationsbedürftiger Gefäßverletzung
    • spontane Reluxation
    • erhöhte Reluxationstendenz bei > 30-Grad-Flexion
    • intraartikuläre Begleitpathologien, z. B. knorpelige Abscherverletzungen
    • bei Versagen der initial konservativen Therapie
    • hohe Belastungsanforderungen an den Ellenbogen bei der Arbeit und/oder dem Sport
    • jüngere Patient*innen
    • Terrible-Triad-Läsion aus Ellenbogenluxation, Abriss des Processus coronoideus und Radiusköpfchenfraktur
  • Die häufigsten Verfahren bei ligamentären Ellenbogenluxationen
    • offene oder arthroskopische primäre Bandnaht/-refixation
    • je nach Instabilitätsgrad Bandnaht/-refixation mit additiver Augmentation der Naht oder additivem Fixateur externe
  • Postoperative Maßnahmen
    • abschwellende Maßnahmen: Hochlagerung, Lymphdrainage, ggf. kurzzeitige
      Ruhigstellung
    • fakultativ Bewegungsorthese für 6 Wochen
    • frühfunktionelle, aktiv-assistierte physiotherapeutische Behandlung
    • Vermeidung von Varus-/Valgusstress sowie axialer Stütz- und Zugbelastungen für 6 Wochen
    • keine Vollbelastung für 3 Monate

Verlauf, Komplikationen und Prognose

Verlauf

  • Mit der Dauer bis zur Reposition steigt das Risiko für Komplikationen.

Komplikationen

  • Funktionelle Instabilität mit Reluxationen
  • Streckdefizit
  • Heterotope Ossifikationen
    • im Vergleich zu anderen Luxationen überdurchschnittlich häufig
  • Persistierende Schmerzen
  • Schädigungen von Nerven oder Gefäßen
  • Kompartmentsyndrom
  • Osteochondrale Defekte
  • Bewegungseinschränkungen, Gelenksteife
  • Posttraumatische Kubitalarthrose
  • Komplexes regionales Schmerzsyndrom, CRPS

Prognose

  • Lange Immobilisationszeiten sowie ein hohes Ausmaß an Weichteilverletzungen führen zu schlechteren Ergebnissen.1
  • Wenngleich die konservative Therapie in der Regel zu einem guten klinischen Ergebnis führt, werden im Langzeitverlauf bleibende Beschwerden, vor allem in Form von Bewegungseinschränkungen, Schmerzen und subjektiver Instabilität, beobachtet.
  • Die operative Behandlung der Ellenbogenluxation in der Akutphase führt zu guten klinischen Ergebnissen, sie ist der konservativen Therapie jedoch nicht grundsätzlich überlegen.

Verlaufskontrolle

  • Während der konservativen Therapie engmaschige klinische Verlaufskontrollen und individuelle radiologische Kontrollen durch Spezialist*innen
    • Sicherstellung des Behandlungsfortschritts: Bewegungsausmaß, Gelenkstabilität

Patienteninformationen

Patienteninformationen in Deximed

Quellen

Literatur

  1. Hackl M, Beyer F, Wegmann K, Leschinger T, Burkhart KJ, Müller LP. The treatment of simple elbow dislocation in adults—a systematic review and meta-analysis. Dtsch Arztebl Int 2015; 112: 311–9. www.aerzteblatt.de

Autor*innen

  • Lino Witte, Dr. med., Arzt in Weiterbildung Allgemeinmedizin, Münster

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