Zusammenfassung
- Definition:Überlastungsschaden der Sehne des Großzehenbeugermuskels.
- Häufigkeit:Gehäuft bei Balletttänzer*innen und Sprungsportarten.
- Symptome:In der Regel schleichender Beginn mit belastungsabhängigen Schmerzen dorsal und kaudal vom Malleolus medialis.
- Untersuchung:Positiver isometrischer Test: Schmerzen oder Krepitationen entlang der Sehne des M. flexor hallucis longus bei Flexion der Großzehe gegen Widerstand.
- Diagnostik:Bei diagnostischer Unsicherheit Bildgebung (Sonografie, MRT).
- Therapie:Konservative Therapie mit Entlastung und Dehn- sowie Kräftigungsprogramm für die Sehne. Bei Therapieversagen arthroskopisches Débridement der Sehne und Teilresektion vom Muskelbauch.
Allgemeine Informationen
Definition
- Überlastungsschaden der Sehne des Großzehenbeugermuskels
Häufigkeit
- Gehäuft bei Balletttänzer*innen und Sprungsportarten1
Klinische Anatomie
- Entlang der medialen Seite des Sprunggelenks verlaufen drei Sehnen:
- M. tibialis posterior
- am häufigsten betroffen von einer Tendopathie
- M. flexor hallucis longus
- M. flexor digitorum longus
- sehr selten ursächlich für Beschwerden.
- M. tibialis posterior
- Diese 3 Sehnen verlaufen gemeinsam mit dem N. tibialis und der A. tibialis posterior in einem fibroossären Kanal, dem Tarsaltunnel.
- Der M. flexor hallucis longus ist der wichtigste Beugemuskel der Großzehe, trägt zur Plantarflexion des Sprunggelenks bei und spannt das mediale Längsgewölbe des Fußes auf.2
- Der Muskel entspringt an der dorsalen Fibula und setzt an der plantaren Basis der Endphalanx der Großzehe an.
Ätiologie und Pathogenese
- Durch Überlastung der Sehne kommt es zu pathologischen Umbauprozessen (Tendinose) oder einer akuten Entzündungsreaktion (Tendinitis).
- Die Sehnenzellen (Tenozyten) reagieren auf akute Überlastung mit vermehrter Bildung von Proteinen (Proteoglykane), die eigentlich im Knorpel vorkommen.
- Diese Proteine speichern deutlich mehr Wasser, sodass es zu einem diffusen Anschwellen der gesamten Sehne kommt.
Prädisponierende Faktoren
- Repetitive Abstoßbewegungen des Fußes (Ballett, Sprungsportarten)3
- Metabolische Faktoren, u. a. Diabetes und rheumatoide Arthritis3
- Kompression der Sehne, z. B. durch zu enge Schuhe oder Os trigonum (akzessorischer Fußknochen)2
ICPC-2
- L87 Bursitis/Tendinitis/Synovitis NNB
ICD-10
- S96.0 Verletzung von Muskeln und Sehnen der langen Beugemuskeln der Zehen in Höhe des Knöchels und des Fußes
Diagnostik
Diagnostische Kriterien
- In der Regel klinische Diagnose, bei Unsicherheit zusätzlich Bildgebung
Differenzialdiagnosen
- Sprunggelenk, Instabilität
- Plantarfasziitis
- Dorsales Impingement des Sprunggelenks
- Knorpelschäden im Sprunggelenk
- Tarsaltunnelsyndrom
- Tibialis-posterior-Tendopathie
Anamnese
- Symptomatik
- in der Regel schleichender Beginn mit belastungsabhängigen Schmerzen dorsal und kaudal des Malleolus medialis
- Grunderkrankungen
- Medikamente
- Bisherige Therapie
Klinische Untersuchung
Inspektion
- Bei akuter Tendinitis sind manchmal diskrete Schwellungen und Rötung am medialen Rückfuß zu sehen.
Palpation
- Druckschmerz und Tonuserhöhung im Verlauf der Sehne4
- am häufigsten im Bereich vom fibroossären Kanal (Tarsaltunnel) am medialen Rückfuß
Funktionsprüfung
- Gesamtes Bewegungsausmaß der Sehne überprüfen.3
- Patient*in beugt Knie um 90 Grad, um Gastrocnemius zu entspannen.
- maximale Dorsalextension im Sprunggelenk
- Sehne palpieren.
- dann Streckung im Kniegelenk, maximale Plantarflexion im Sprunggelenk sowie Großzehengrundgelenk
- bei chronischer Tendopathie oft Krepitationen spürbar
- Isometrischer Test
- Flexion der Großzehe gegen Widerstand
- positiv: Schmerzprovokation im Sehnenverlauf
- Mituntersuchung des Sprunggelenks und Großzehengrundgelenks auf Begleiterkrankungen, z. B. Hallux rigidus
Diagnostik bei Spezialist*innen
Bildgebung
- Dynamische Sonografie
- für geübte Untersucher*in Methode der Wahl
- Beurteilung der Sehne, ggf. pathologische Umbauprozesse, Verdickung der Sehne oder peritendinöse Flüssigkeit nachweisbar
- MRT
- genaue Beurteilung der Sehne
- Erfassen von Begleiterkrankungen, z. B. andere Tendopathien oder Knorpelschäden im Sprunggelenk
Indikationen zur Überweisung
- Bei therapierefraktären Beschwerden Überweisung an Orthopäd*in
Therapie
Therapieziele
- Schmerzen lindern.
- Pathologische Umbauprozesse der Sehne (siehe Abschnitt Ätiologie und Pathogenese) verhindern, um Chronifizierung zu vermeiden.
Allgemeines zur Therapie
- Initial konservativer Therapieversuch mit Verzicht auf schmerzauslösende Aktivitäten, Kälte, Dehn- und Kräftigungsprogramm für die Sehne
- bei starken Beschwerden ggf. zusätzlich NSAR und Immobilisierung des Fußes für 2–3 Wochen
- Bei Beschwerdepersistenz nach mehr als 6 Monaten konservativer Therapie ist eine arthroskopische Therapie das Vorgehen der Wahl.2
Konservative Therapie
Physiotherapie
- Sehnen benötigen dosierte Belastung und keine Pause, um zu heilen und zu wachsen.
- Eine komplette Pause ist oft nur für kurze Zeit und bei akuter Tendopathie notwendig.
- Stufenplan für Belastungsaufbau empfohlen:
- isometrisches Training
- Beispiel: In Rückenlage Fuß maximal in Sprunggelenk und Großzehengrundgelenk beugen und 45 sec halten.
- 10 x am Tag wiederholen.
- exzentrisches Training
- Beispiel: In Zehenspitzenstand auf die Treppenstufe stellen und dann langsam mit Rückfuß absinken.
- morgens und abends jeweils 3 Sätze mit 10–12 Wiederholungen
- Return-to-sports
- Technikschulung bei schmerzhaften Bewegungsmustern.
- isometrisches Training
Analgesie
- Kühlen
- Mehrfach am Tag für 5 min im Sehnenverlauf kühlen.
- NSAR
- lokal als Gel oder Salbe
- bei starken Schmerzen z. B. Ibuprofen 400 mg 1–1–1 für wenige Tage
- Immobilisation
- Bei sehr starken Beschwerden kann der Fuß zur Ruhigstellung der Sehne für 2–3 Wochen in Gipsverband immobilisiert werden.
Operative Therapie
- Bei Versagen der konservativen Therapie in der Regel arthroskopisches Vorgehen
- Prozedere2
- Débridement der Sehne kombiniert mit partieller Resektion vom Muskelbauch des M. flexor hallucis longus
- postoperativ nach etwa 3 Tagen vollständige Gewichtsbelastung möglich
Prävention
- Regelmäßiges Dehn- und Kräftigungsprogramm, sowohl für untere Extremität als auch Rumpf
- Präventiv sollten Tänzer*innen eine gute Extension der Hüfte anstreben, sodass so viel wie möglich direkt in der Achse über dem Fuß gearbeitet wird.
- Harte Böden und Sprünge vermeiden.
Verlauf, Komplikationen und Prognose
Verlauf
- Bei unzureichender Schonung und fehlender Behandlung progredienter pathologischer Umbau der Sehne (siehe Abschnitt Ätiologie und Pathogenese).
Komplikationen
- Ruptur der Sehne
- Chronifizierung mit dauerhaften Schmerzen und Funktionseinschränkungen
Prognose
- Durch ein konsequentes Dehnprogramm ist die Prognose bei den meisten Patient*innen gut.4
- Nach 3–6 Monaten konservativer Therapie ist das Ergebnis bei der Mehrheit der Patient*innen zufriedenstellend.2
- Schlechtere Prognose bei Patient*innen mit begleitendem Hallux rigidus4
- Nach arthroskopischem Vorgehen in einer Studie bei allen 34 Patient*innen gutes bis sehr gutes Ergebnis 2 Jahre postoperativ
Quellen
Literatur
- Luk P, Thordarson D, Charlton T. Evaluation and management of posterior ankle pain in dancers. J Dance Med Sci 2013; 17:79. PubMed
- Feng SM, Sun QQ, Wang AG, et al. Flexor Hallucis Longus Tendon Impingement Syndrome: All-inside Arthroscopic Treatment and Long-term Follow-up. The Journal of Foot and Ankle Surgery 2020; 59(6): 1197-200. www.sciencedirect.com
- Smith SE. Flexor hallucis longus tendon injury imaging. Medscape, last updated Aug 07, 2018. emedicine.medscape.com
- Michelson JD, Bernknopf JW, Charlson MD, et al. What Is the Efficacy of a Nonoperative Program Including a Specific Stretching Protocol for Flexor Hallucis Longus Tendonitis?. Clinical Orthopaedics and Related Research 2021; 479(12): 2667-76. journals.lww.com
Autor*innen
- Lino Witte, Dr. med., Arzt in Weiterbildung Allgemeinmedizin, Münster