Akutes muskuläres Kompartmentsyndrom

Bei diesem Syndrom kommt es durch einen erhöhten Gewebedruck zu einer Schädigung der Muskulatur. Das akute Kompartmentsyndrom ist eine häufige Komplikation bei Unterschenkelbrüchen und ein Notfall, der umgehend behandelt werden muss.

Was ist ein Kompartmentsyndrom?

Die Muskelstränge im Körper sind jeweils von festem Bindegewebe umhüllt, den Muskelfaszien. Die Einheit von bestimmten Muskelsträngen mit ihren Faszien wird auch als Kompartment bezeichnet.

Dehnt sich das Muskelgewebe aus, etwa infolge einer Verletzung mit Blutung, begrenzt die feste Faszie diese Schwellung sehr rasch, da sie kaum dehnbar ist. Als Folge steigt der Gewebedruck in der Muskulatur rasch an. Dies kann akut geschehen, etwa durch eine Fraktur. Erhöht sich der Gewebedruck über den Blutdruck in den kleinen Arterien im Muskel, nimmt die Durchblutung bis zum völligen Durchblutungsstopp ab. Dadurch werden die Funktionen von Muskeln, Sehnen und Nerven in dieser Muskelloge deutlich beeinträchtigt. Je länger ein solcher Zustand anhält, desto stärker ist die Durchblutung gestört. Muskeln und Nerven können durch den damit verbundenen Sauerstoffmangel dauerhaft geschädigt werden bzw. absterben (Muskelnekrose). Dies ist ein Notfall, der umgehend behandelt werden muss!

Ein muskuläres Kompartmentsyndrom kann an allen Körperbereichen mit Muskellogen auftreten. Dazu zählen Hand, Unterarm, Oberarm und Beine. Am häufigsten kommt es am Unterschenkel vor, und oft als Komplikation einer Fraktur.

Männer sind davon doppelt so häufig betroffen wie Frauen; am häufigsten erkranken Männer bis zum 30. Lebensjahr daran.

Ein chronisches Kompartmentsyndrom kann bei Sportlern durch häufige starke (Über-)Belastung der Muskeln auftreten, überwiegend beim Laufsport.

Ursachen

Ein muskuläres Kompartmentsyndrom hat verschiedene mögliche Ursachen. Zu den häufigsten zählen Knochen- oder Gewebeverletzungen. Andere Ursachen können Blutungen (etwa bei einer Gelenkluxation oder auch unter Therapie mit Blutverdünnern) oder enge Verbände/Gipsverbände sein. Auch durch externen Druck auf die Muskulatur bei falscher Lagerung eines Beins oder Arms kann es zu einer Durchblutungsstörung und einem Kompartmentsyndrom kommen.

Stoppt die Durchblutung, dann werden die betroffenen Muskelzellen schon nach wenigen Stunden zerstört. Nach 6 bis 8 Stunden kommt es zu irreversiblen Schäden. Dies ist ein Notfall, der umgehend behandelt werden muss!

Symptome

Die Symptome eines akuten Kompartmentsyndroms können unspezifisch sein und variieren von Patient zu Patient. Zu den ersten Anzeichen gehören Schmerzen infolge des Sauerstoffmangels in den Muskeln (ischämischer Schmerz). Dieses Symptom kann aber auch ausbleiben. Der Schmerz ist, wenn vorhanden, häufig ungewöhnlich heftig und nimmt bei Dehnung der betroffenen Extremität deutlich zu. Taubheitsgefühl oder eine Muskelschwäche sind Zeichen für eine bereits schwere Schädigung des Gewebes. 

Diagnose

Um bei entsprechenden Beschwerden die Diagnose zu bestätigen, wird die Ärztin bzw. der Arzt die betroffene Extremität sorgfältig untersuchen. Zunehmende Schmerzen bei passiver Dehnung der beteiligten Sehnen und Muskeln gelten als starke Indizien für einen erhöhten Kompartmentdruck. Zudem ist die gesamte Muskelloge oft geschwollen und schmerzempfindlich. Ein umschriebenes Taubheitsgefühl (am Unterschenkel typischerweise zwischen der ersten und zweiten Zehe), blasse Haut oder auch Lähmungen sind eher Spätzeichen und weisen darauf hin, dass bereits schwere Funktionsverluste von Muskeln und Nerven eingetreten sind.

Je gravierender die Durchblutungsstörung ist und je länger diese andauert, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass in diesem Bereich kein Puls mehr fühlbar ist.

Bei Blutuntersuchungen lassen sich, sofern bereits Muskelschäden aufgetreten sind, Abbauprodukte aus Muskelzellen nachweisen. Als Folge des Muskelzerfalls kann es auch zu einer deutlichen Einschränkung der Nierenfunkton kommen, was sich ebenfalls per Blutuntersuchung messen lässt. Auch erhöhte Entzündungswerte im Blut sind typisch.

Im Krankenhaus kann der Druck im betroffenen Gewebe gemessen und so die Diagnose bestätigt werden.

Therapie

Die Behandlung zielt darauf ab, die Symptome zu lindern und die Entwicklung bestehender Komplikationen zu verhindern. Unbehandelt führt ein Kompartmentsyndrom zu einem zunehmenden Sauerstoffmangel in der Muskulatur.

Besteht der Verdacht auf ein Kompartmentsyndrom, werden (sofern vorhanden) Verbände oder ein Gips sofort entfernt und die Extremität auf Herzhöhe gelagert. Eine höhere Lagerung würde die Durchblutung weiter verschlechtern, ist also zu vermeiden.

Ist die Diagnose eines akuten Kompartmentsyndrom bestätigt, wird in der Regel so rasch wie möglich operiert, und zwar innerhalb von 2 Stunden. Dabei wird die die Muskelgruppe umhüllende Faszie bzw. mehrere Faszien an der betroffenen Extremität gespalten, sodass sich der Druck verringert und die Durchblutung wieder funktionieren kann. Die Wunden müssen offen gehalten und mit sterilen Kompressen abgedeckt werden. Erst nach einigen Tagen kann die Wunde wieder verschlossen werden.

Prognose

Eine rechtzeitige Diagnose und Behandlung sind wichtig, um bleibende Läsionen zu verhindern. Eine später als 6–8 Stunden einsetzende Behandlung führt gehäuft zu irreversiblen Schädigungen. Die Zeit zwischen Diagnose und Operation hat einen entscheidenden Einfluss darauf, ob es zu Komplikationen und bleibenden Schädigungen kommt. Erfolgt die Faszienspaltung innerhalb von 6 Stunden nach Beginn der Beschwerden, lässt sich die Erkrankung bei fast allen Betroffenen so behandeln, dass die Funktion wieder völlig hergestellt wird. Vergehen jedoch mehr als 12 Stunden, so verbleiben bei fast 90 % der Betroffenen Funktionsstörungen zurück.

Eine verspätete oder unzureichende Diagnose und Therapie kann infolge der irreparablen Läsionen von Muskeln und Nerven zu Gelenksteife (Volkman-Kontraktur), regionalem Schmerzsyndrom, Nervenfunktionsstörungen und im schlimmsten Fall zur Notwendigkeit einer Amputation führen. Zudem besteht das Risiko einer Nierenfunktionsstörung.

Weitere Informationen

Autoren

  • Susanne Meinrenken, Dr. med., Bremen

Link lists

Authors

Previous authors

Updates

Gallery

Snomed

Click to edit

References

Based on professional document Muskellogensyndrom. References are shown below.

  1. Rasul AT. Acute compartment syndrome. Medscape, last updated Apr 03, 2018. emedicine.medscape.com
  2. Torlincasi AM, Lopez RA, Waseem M. Acute Compartment Syndrome. StatPearls. 2020. www.ncbi.nlm.nih.gov
  3. Olson SA, Glasgow RR. Acute compartment syndrome in lower extremity musculoskeletal trauma. J Am Acad Orthop Surg 2005;13:436-444. PubMed
  4. Sellei RM, Andruszkow H, Weber C, et al. Diagnostik und Therapieentscheidung beim akuten Kompartmentsyndrom. Der Unfallchirurg 2014; 119: 125-36. link.springer.com
  5. McQueen MM, Duckworth AD, Aitken SA, et al. The estimated sensitivity and specificity of compartment pressure monitoring for acute compartment syndrome.. J Bone Joint Surg Am 2013; 95(8): 673-7. www.ncbi.nlm.nih.gov
  6. McQueen MM1, Duckworth AD, Aitken SA, et al. Predictors of Compartment Syndrome After Tibial Fracture. J Orthop Trauma 2015; 29(19): 451-5. www.ncbi.nlm.nih.gov
  7. Shah SN, Miller BS, Kuhn JE. Chronic exertional compartment syndrome. Am J Orthop 2004; 33: 335-41. PubMed
  8. Vaillancourt C, Shrier I, Vandal A, et al. Acute compartment syndrome: how long before muscle necrosis occurs?. CJEM 2004; 6(3): 147-54. www.ncbi.nlm.nih.gov
  9. Schmidt AH. Acute compartment syndrome. Injury 2017; 48(1): 22-25. www.sciencedirect.com
  10. Rowdon GA. Chronic Exertional Compartment Syndrome. Medscape, last updated Oct 08, 2015. emedicine.medscape.com
  11. Wilder RP, Sethi S. Overuse injuries: tendinopathies, stress fractures, compartment syndrome, and shin splints. Clin Sports Med 2004; 23: 55-81,vi. www.ncbi.nlm.nih.gov
  12. Hawel S, Sach D, Bublitz TM, et al. Orthopädie und Unfallchirurgie up2date . Stuttgart/New York: Thieme, 2014. www.thieme-connect.com
  13. Ulmer T. The Clinical Diagnosis of Compartment Syndrome of the Lower Leg: Are Clinical Findings Predictive of the Disorder?. Journal of Orthopaedic Trauma 2002; 16(8): 572-7. insights.ovid.com
  14. Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie e.V. Unterschenkelschaftfraktur. AWMF-Leitlinie 012-018. Stand 2017. www.awmf.org
  15. McMillan TE, Gardner WT, Schmidt AH, et al. Diagnosing acute compartment syndrome—where have we got to?. Int Orthop 2019; 43(11): 2429-35. www.ncbi.nlm.nih.gov
  16. Lampert R, Weih EH, Breucking E, et al. Postoperative bilateral compartment syndrome resulting from prolonged urological surgery in lithotomy position. Serum creatine kinase activity (CK) as a warning signal in sedated, artificially respirated patients. Anaesthesist 1995; 44(1): 43-47. www.ncbi.nlm.nih.gov
  17. Roscoe D, Roberts AJ, Hulse D. Intramuscular compartment pressure measurement in chronic exertional compartment syndrome: new and improved diagnostic criteria. Am J Sports Med 2015; 43(2): 392-8. www.ncbi.nlm.nih.gov
  18. Donaldson J, Haddad B, Khan WS. The pathophysiology, diagnosis and current management of acute compartment syndrome. Open Orthop J 2014; 27(8): 185-93. www.ncbi.nlm.nih.gov
  19. Collinge CA, Attum B, Lebus GF, et al. Acute Compartment Syndrome: An Expert Survey of Orthopaedic Trauma Association Members. J Orthop Traumatol 2018; 32(5): 181-4. www.ncbi.nlm.nih.gov
  20. Wittstein J, Moorman CT 3rd, Levin LS. Endoscopic compartment release for chronic exertional compartment syndrome. J Surg Orthop Adv 2008; 17(2): 119-21. www.ncbi.nlm.nih.gov
  21. Kare JA. Volkmann Contracture. Medscape, last updated Mar 29, 2019. emedicine.medscape.com
  22. Sheridan GW, Matsen FA 3rd. Fasciotomy in the treatment of the acute compartment syndrome.. J Bone Joint Surg Am 1976; 58(1): 112-5. www.ncbi.nlm.nih.gov