Teratome im Kindes- und Jugendalter

Zusammenfassung

  • Definition: Grundsätzlich benigner, selten maligne transformierender Keimzelltumor mit gonadaler und extragonadaler Manifestation.
  • Häufigkeit: Intrakranielle, intraspinale, maligne extrakranielle, maligne extragonadale und maligne gonadale Teratome haben insgesamt einen Anteil von 0,9 % an allen Malignomen bei Kindern < 15 Jahre.
  • Symptome: Bedingt durch schnelles raumforderndes Wachstum, abhängig von der Lokalisation.
  • Befunde: Nachweis der Raumforderung, selten symptomatisch, selten notfallmäßige Vorstellung mit akuten Komplikationen.
  • Diagnostik: Bildgebung, Histologie, Tumormarker.
  • Therapie: Möglichst vollständige Tumorresektion, ggf. prä- und postoperative Chemotherapie.

Allgemeine Informationen

Definition

  • Zu den Keimzelltumoren gehörende solide Neoplasie, Anteile aller drei Keimblätter enthaltend, aber auch bi- oder monodermal auftretend1-4
    • im Tumor Nachweis mehr oder weniger ausdifferenzierter ortsfremder Strukturen (Zähne, Haare, Drüsen, Knochen, Knorpel, neuroektodermale Strukturen etc.)
  • Grundsätzlich benigne Tumorentität, maligne Transformation ist jedoch möglich, in der Literatur teils als prämaligne eingeordnet.
  • Manifestation hauptsächlich gonadal, jedoch auch extragonadal im gesamten Körper entlang der Mittellinie3
    • sakrokokzygeal (Steißbeinteratom)
    • abdominal/gonadal
    • mediastinal
    • retroperitoneal
    • intrakraniell
    • sehr selten intraperikardial, im Magen, im Pankreas
  • Auftreten in jeder Altersgruppe
  • Vorkommen als reine Teratome oder anteilig in anderen malignen Keimzelltumoren3
  • Heterogene Gruppe von Tumoren, Klinik und Verlauf unterschiedlich in Abhängigkeit von Alter, Geschlecht, Lokalisation, Histologie, Zytogenetik, Molekularbiologie5

Einteilung/Klassifikation

  • Klinisch relevant ist die Unterscheidung in reif, unreif und maligne transformiert.
  • Einteilung nach Gonzales-Crussi6 zur Quantifizierung des Anteils unreifen Gewebes
    • G0 (vollständig ausdifferenziert) bis G3 (> 50 % nicht vollständig ausgereiftes Gewebe)
  • Einteilung nach WHO7 (ohne Angabe der Subtypen von Ovar-, Hoden- und ZNS-Tumoren)
    • benignes Teratom (differenziertes T., reifes T.)
    • malignes Teratom (unreifes T.)
      • intermediär
      • undifferenziert
    • gemischtes Teratom/Seminom (gemischter Keimzelltumor)
    • Teratokarzinom (gemischtes embryonales Karzinom und Teratom)

Häufigkeit

  • Möglicherweise keine vollständige Erfassung in Krebsregistern, da die Behandlung teilweise in urologischen/gynäkologischen/HNO-chirurgischen Kliniken erfolgt.3
  • Nach einem deutschen Krebsregister machen intrakranielle, intraspinale, maligne extrakranielle, maligne extragonadale und maligne gonadale Teratome zusammen einen Anteil von 0,9 % an allen Malignomen bei Kindern < 15 Jahre aus.8
  • Häufigkeiten innerhalb der Gruppe der Teratome
    • nach Reifegrad3
      • G0 nach Gonzales-Crussi in 54,4 %
      • max. Unreifegrad G3 nach Gozales-Crussi in 7,3 %
    • nach Lokalisation3
      • Sakrokokzygeal 33,8 %
      • Ovarien 31,2 %
      • Hoden 10,5 %
      • mediastinal 5,4 %
      • retroperitoneal 5,2 %
      • ZNS 4,8 %
      • andere Lokalisationen 9,1 %
  • Anteil an allen Malignomen bei Kindern < 15 Jahren8
    • intrakraniell/intraspinal 0,1 %
    • maligne extrakraniell und extragonadal 0,5 %
    • maligne gonadal 0,3 %
  • Sakrokokzygeale Teratome
    • häufigster Tumor des Neugeborenen, Prävalenz von 1:40.000 Lebendgeborenen,
    • Mädchen im Verhältnis 3:1 häufiger betroffen als Jungen
    • 75 % werden in Neonatalperiode diagnostiziert, nahezu alle bis zum 4. Lebensjahr4
    • in 27 % der Fälle maligne4
      • höheres Malignitätsrisiko mit zunehmendem Alter
      • 90 % benigne bei Alter < 2 Monate, < 50 % benigne bei Alter > 2 Monate
  • Ovariales Teratom9
    • Benignes Ovarialteratom ist die häufigste Neoplasie des Ovars bei Kindern und Adoleszenten4, macht 50 % aller pädiatrischen Ovarialtumoren und 10–20 % aller gutartigen Ovarialtumoren aus, unilateral in 50–79 %.
    • Unreifes malignes Teratom macht 35 % aller malignen Keimzelltumoren des Ovars aus.
    • selten Auftreten monodermaler Teratome (Struma ovarii, Karzinoid)
  • Testikuläre Teratome10
    • zweithäufigste Neoplasie des Hodens im Kindesalter4
    • präpubertär auftretende Teratome meist benigne, postpubertär eher maligne3
  • Mediastinale Teratome4,11
    • seltene Manifestation
    • 75 % aller mediastinalen Keimzelltumoren sind Teratome.
    • in 20 % der Fälle maligne (fast ausschließlich bei Männern)
  • Retroperitoneale Teratome
    • seltene Manifestation
    • < 10 % aller retroperitonealen Tumore sind Teratome.
    • 50 % treten in der ersten Lebensdekade auf.4
    • häufig suprarenal gelegen
  • Intrakranielle Teratome4
    • 50 % der fetalen Hirntumoren
    • 33 % der intrakraniellen Tumoren bei Neugeborenen, jedoch nur 2–4 % bei allen anderen Kindern < 15 Jahre.

Ätiologie und Pathogenese

  • Ursprung ist pluripotente primordiale Keimzelle.3-4
    • in Abhängigkeit von der Ausdifferenzierung der Keimzelle und der Keimzellmigration Entstehung von unterschiedlich gearteten Teratomen an unterschiedlichen Lokalisationen

ICD-10

  • D37-D48 Neubildungen unsicheren oder unbekannten Verhaltens.

Diagnostik

Diagnostische Kriterien

  • Hinweisgebender bildmorphologischer Befund mit Darstellung von zystischen, fetthaltigen und soliden Anteilen sowie Nachweis ortfremder Gewebe (Haare, Zähne, Drüsen, neuroektodermale Strukturen etc.), ergänzend Histologie und ggf. Zytogenetik und Molekularbiologie zur Diagnosestellung und Differenzialdiagnostik notwendig

Differenzialdiagnosen

Anamnese

  • Teratome sind in der Regel sonografische Zufallsbefunde.
  • Sakrokokzygeale Teratome
    • oft pränatal sonografische Diagnosestellung
  • Ovarielle Teratome
    • selten symptomatisch (Schmerzen, Blutung, Stuhlunregelmäßigkeiten)
    • selten akute Symptomatik wie Torsion, Ruptur, Blutung
  • Testikuläre Teratome
    • indolente Hodenschwellung
    • mögliche Torsion
  • Mediastinale Teratome
    • Atemnot, Husten, Stridor, Infektionen
  • Teratome im Kopf-Hals-Bereich
    • oft pränatal sonografische Diagnosestellung (Polyhydramnion!)
    • neurologische Symptome
    • Beeinträchtigung der Respiration oder des Schluckaktes

 Klinische Untersuchung

  • Allgemeine klinische Untersuchung aller Organsysteme inklusive der Lymphknotenstationen
  • Sakrokokzygeale Teratome
    • oberhalb der Rima ani, meist exophytisch wachsender Tumor, 1/5 jedoch präsakral gelegen und äußerlich nicht sichtbar
    • mögliche Kreislaufbeeinträchtigung bei sehr großen Tumoren
    • Blutungsgefahr
    • Kann ins kleine Becken oder den Spinalkanal einwachsen.
      • Prüfung von Blasen- und Analsphinkterfunktion
      • neurologische Untersuchung, Reflexe, MER
  • Ovarielle Teratome
    • Inspektion der Gonaden, Bestimmung von Pubertätsstadium nach Tanner
    • Hinweis auf syndromales Erscheinungsbild
    • Prüfung von Blasen- und Analsphinkterfunktion
    • Gefahr von Torsion, Ruptur, Blutung, chronischer Leckage (Gefahr einer hierdurch bedingten Peritonitis nicht bestätigt)
  • Testikuläre Teratome
    • Inspektion der Gonaden, Palpation und Diaphanoskopie der Hoden, Bestimmung von Pubertätsstadium nach Tanner
  • Mediastinale Teratome
    • Atemnot, Husten, Stridor, Infektionen
  • Teratome im Kopf-Hals-Bereich
    • Vorkommen thyreocervikal, am Gaumen, im Nasopharynx, im ZNS
    • neurologische Untersuchung, Hirnnervenfunktion
    • mögliche Beeinträchtigung der Respiration, Husten, Stridor, Schluckbeschwerden

Ergänzende Untersuchungen in der Hausarztpraxis

  • Ggf. Sonografie und Tumormarker

Diagnostik beim Spezialisten – im Krankenhaus

  • Bildgebende Diagnostik zur Darstellung des Tumors und evtl. Metastasen
    • Sonografie mit Farbdoppler, bzw. Endosonografie
    • MRT
    • CT
    • Röntgen-Thorax
  • Funktionelle Diagnostik
    • Skelettszinitigrafie bei Verdacht auf Knochenmetastasen
  • Tumormarker
    • unreife Teratome bilden Alpha-Fetoprotein (AFP), Nachweis im Serum oder im Tumorpräparat mittels Immunhistochemie
      • Cave: AFP physiologisch hoch bei Kleinkindern sowie bei Dottersacktumor, Hepatoblastom, hepatozellulärem Karzinom, Pankreatikoblastom, Hepatitiden, Schwangerschaft!
    • humanes Choriongonadotropin (Beta-HCG) selten positiv bei unreifen Teratomen
  • Labordiagnostik
    • ggf. LDH, Serum-Östradiol bzw. Testosteron, LH, FSH. CA 125, CA19-9
  • Histologie des Resektionspräparates
    • keine standardmäßige präoperative Probebiopsie
    • Nachweis von Abkömmlingen aller 3 Keimblätter und ortsfremdem somatischem Gewebe
    • meist Zysten, Fett, Verkalkungen
    • selten bi- oder monodermale Teratome (schwierige Differenzialdiagnostik, Referenzpathologie empfohlen)
    • unreife Teratome
      • Enthalten embryonale Strukturen (primitive neuroektodermale Strukturen, selten auch Nephroblastom-artige Strukturen).3
      • oftmals Nachweis von mikroskopischen Foci von Dottersacktumorzellen (Micro Lesions) – relevant für Prognose3
      • eher solide Tumoranteile
      • sehr selten Nachweis höher differenzierter Gewebe (Dünndarm, Etremitäten, Herz), dann Bezeichnung als „fetiformes Teratom“
    • reife Teratome
      • eher zystisch

Indikationen zur Überweisung/Krankenhauseinweisung

  • Bei Verdacht auf Vorliegen einer Teratoms, bei Nachweis einer unklaren Raumforderung

Therapie

Therapieziel

  • Vollständige Tumorresektion
  • Rezidive verhindern
  • Lebensqualität erhalten
  • Mutilierende Resektion vermeiden

Allgemeines zur Therapie

  • Ggf. adjuvante Chemotherapie
  • Komplette Tumorresektion
  • Ggf. postoperative Chemotherapie bei Malignitätsnachweis
  • Nachbeobachtung (Watch and Wait)

Chemotherapie

  • Einsatz von adjuvanter Chemotherapie bei Nachweis von Micro Lesions zur Verhinderung von Rezidiven und bei großen oder schlecht operablen Tumoren (z. B. bei mediastinalen Teratomen zur Verbesserung der Operationsbedingungen bei kritischen Strukturen im OP-Bereich)

Chirurgie

  • Steißbeinteratome
    • Entbindung per Sectio bei großen Tumoren, komplette Tumorresektion und obligate Entfernung der Steißbeinspitze zur Verhinderung von Rezidiven,
    • Tumorruptur, Blutung, Kreislaufversagen sind kritische prognostische Faktoren
  • Ovariale und testikuläre Teratome
    • möglichst Erhalt der Fertilität, bei reifen Teratomen evtl. Tumorenukleation und Organerhalt (keine eindeutige Empfehlung)
  • Teratome im Kopf-Hals-Bereich
    • Alter < 4 Monate und unauffällige Tumormarker primär Tumorresektion
    • Alter > 4 Monate und erhöhte Tumormarker adjuvante Chemotherapie, Tumorresektion
    • Verlegung der Atemwege durch den Tumor ist ein kritischer prognostischer Faktor.4
  • ZNS-Teratome
    • komplette Tumorresektion
    • bei inkompletter Resektion ggf. Radiatio
    • Rezidivrisiko von 10–20 % bei unvollständiger Resektion (intrakraniell)
  • Andere Lokalisationen
    • komplette Tumorresektion

Verlauf, Komplikationen und Prognose

Verlauf

  • Abhängig von Tumorlokalisation, Alter bei Diagnosestellung, Geschlecht, Histologie, Molekularbiologie und Zytogenetik5

Prognose

  • Bei vollständiger chirurgischer Resektion ist die Prognose sehr gut.
  • Rezidivrisiko steigt mit zunehmendem Unreifegrad.
  • Mikroskopische Foci (Micro Lesions) von Dottersacktumorzellen sind prognostisch ungünstig zu bewerten. Nach inkompletter Resektion besteht das Risiko eines malignen Rezidivs in Form eines Dottersacktumors. Micro Lesions sind jedoch chemosensibel, bisher wurde kein malignes Rezidiv nach adjuvanter Chemotherapie beschrieben.3
  • Teratomanteile in malignen Keimzelltumoren können auch nach Chemotherapie des Primärtumors weiterwachsen und metastasieren („Growing Teratoma Syndrome“).3 Chirurgische Resektion der Läsionen ist kurativ.
  • In seltenen Fällen kommt es zur malignen Transformation von Teratomen in maligne Nicht-Keimzelltumoren (myeloische Leukämien, Sarkome, Karzinome). Die Prognose wird durch das Malignom bestimmt.3

Verlaufskontrolle

  • Nach vollständiger Resektion Watch and Wait

Patienteninformationen

Patienteninformationen in Deximed

Quellen

Literatur

  1. Hamilton CA, Kost E, Ellison MC. Teratoma, cystic. eMedicine, Jan 23, 2009. emedicine.medscape.com
  2. Isaacs H. Perinatal (fetal and neonatal) germ cell tumors. J Pediatr Surg 2004; 39: 1003-13. PubMed
  3. Harms D, Zahn S, Göbel U, Schneider DT. Pathology and Molecular Biology of Teratomas in Childhood and Adolescence. Klin Pädiatr 2006; 218: 296-302. doi:10.1055/s-2006-942271 DOI
  4. Peterson CM, Bucklea C, Holley S, Menias CO. Teratomas: A Multimodality Review. Curr Probl Diagn Radiol 2012; 41: 210-219. doi:10.1067/j.cpradiol.2012.02.001 DOI
  5. Göbel U, Calaminus G, Engert J et al. Teratomas in infancy and childhood. Med Pediatr Oncol 1998; 31: 8-15. pmid:9607423 PubMed
  6. Gonzalez-Crussi F. Extragonadal teratomas. Atlas of tumor pathology, second series, fascicle 18. Washington, D.C.: AFIP, 1982.
  7. International Classification of Diseases for Oncology ICD-O-3 online. International Agency for Research on Cancer. World Health Organization. codes.iarc.fr
  8. Kaatsch P, Grabow D, Spix C. German Childhood Cancer Registry – Annual Report 2016. Institute of Medical Biostatistics, Epidemiology and Informatics (IMBEI) at the University Medical Center of the Johannes Gutenberg University Mainz, 2016. www.kinderkrebsregister.de
  9. Comerci JT Jr, Licciardi F, Bergh PA, et al. Mature cystic teratoma: a clinicopathologic evaluation of 517 cases and review of the literature. Obstet Gynecol 1994; 84: 22-8. PubMed
  10. Garrett JE, Cartwright PC, Snow BW, et al. Cystic testicular lesions in the pediatric population. J Urol 2000; 163: 928-36. PubMed
  11. Dulmet EM, Macchiarini P, Suc B, et al. Germ cell tumors of the mediastinum. A 30-year experience. Cancer 1993; 72: 1894-901. PubMed

Autoren

  • Anne Strauß, Ärztin in Weiterbildung Pädiatrie, Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin, Universitätsklinikum Freiburg

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