Plötzlicher Kindstod

Zusammenfassung

  • Definition: Plötzlicher und unerwarteter Tod eines bislang gesunden Säuglings ohne Nachweis eines todesursächlichen morphologischen Befundes.
  • Häufigkeit: Inzidenz ca. 0,2/1000 Lebendgeborene.
  • Symptome: Typischerweise Versterben während des Schlafes, Vorliegen einer Kombination verschiedener Risikofaktoren in Auffindesituation.
  • Befunde: Petechien auf Pleura, Perikard, Thymus, schaumiges Sekret in/vor den Atemwegen.
  • Diagnostik: Anamnese, Obduktion.
  • Therapie: Primär- und Sekundärprävention.

Allgemeine Informationen

Definition

  • Plötzlicher und unerwarteter Tod eines scheinbar gesunden Säuglings ohne Nachweis eines todesursächlichen morphologischen Befundes oder anderer zum Versterben führender Umstände.1-2
  • Häufig gebrauchte Synonyme: plötzlicher Kindstod, plötzlicher Säuglingstod, Sudden Infant Death Syndrome (SIDS)

Häufigkeit

  • Inzidenz seit Beginn von Aufklärungskampagnen deutlich rückläufig von ca. 1,6/1000 Lebendgeborene in den 1980er-Jahren auf ca. 0,2/1000 Lebendgeborene
  • Häufigkeitsgipfel 2.–4. Lebensmonat (um den 100. Lebenstag, Alter im Median 114 Tage) sowie am 1.–2. Lebenstag (auch im Kreißsaal!), sehr selten Auftreten nach dem ersten Lebensjahr

Ätiologie und Pathogenese

  • Ursache unbekannt
  • Monitoraufzeichnungen an SIDS verstorbener Kinder lassen Rückschluss auf Verlauf zu:
    • schwere Hypoxie (Ursache unklar), zunehmende Bradykardie, insuffiziente Schnappatmung (unklar wieso nicht suffizient), Apnoe.
  • Zusammenspiel dreier Faktoren angenommen:3
    1. vulnerable Entwicklungsphase des Kindes
    2. veränderlicher oder unveränderlicher Risikofaktor
    3. auslösendes Ereignis (mechanische Verlegung der Atemwege, Atemwegsinfektion)

 Hypothesen zum Pathomechanismus des plötzlichen Kindstodes

  • Störung des respiratorischen Gasaustauschs
    • mechanische Verlegung der Atemwege durch Kissen, Decken, Bauchlage im Babybett, weiche Matratze etc.
    • SIDS-Fälle im Kreißsaal durch Verlegung der kindlichen Atemwege durch Brust der Mutter bzw. Einschlafen des Kindes in Bauchlage auf der Mutter kurz nach Geburt (Erschöpfung von Mutter und Kind)
    • Schlafen im Elternbett bei zusätzlich vorliegenden Risikofaktoren wie Alkohol- oder Medikamenten-/Drogenkonsum der Eltern
      • Anmerkung: Bei Fehlen dieser Risikofaktoren, Einhalten der Empfehlungen zur Schlafumgebung und Stillen im Elternbett liegt dagegen sogar eine Verringerung des Risikos für SIDS vor! Heute wird häufig bewusst und aufgeklärt Co-Sleeping in Familien mit höherem sozioökonomischen Status und Bildungsgrad praktiziert.
  • Vorliegen einer erhöhten Arousalschwelle (erschwertes Erwachen)
    • höhere Arousalschwelle in Bauch- als in Rückenlage4
    • erhöhte Zimmertemperatur
    • Rauchen in der Umgebung
    • Atemwegsinfektion
    • Veränderungen in der Serotoninregulation5
    • niedrigere Arousalschwelle und damit Verringerung des SIDS-Risikos: Schnuller, Muttermilchernährung, Schlafen im eigenen Bett im Elternschlafzimmer (durch Geräusche der Eltern)

Prädisponierende Faktoren

  • Unveränderliche Risikofaktoren
    • männliches Geschlecht
    • extreme Frühgeburtlichkeit6, niedriges Geburtsgewicht
    • pränatale Dystrophie
    • Mehrlingskinder
    • höherer Geschwisterrang
    • ALTE in der Vorgeschichte
    • Infektsaison3
    • Winterhalbjahr
    • alleinerziehende Mütter
    • junge Mütter
    • kinderreiche Familie
    • niedriges Einkommen
    • schlechte Wohnverhältnisse
  • Veränderliche Risikofaktoren
    • Bauchlage6-10
    • Seitenlage
    • frühes Abstillen
    • Rauchen während oder nach der Schwangerschaft11
    • Verzicht auf Schnuller
    • Schlafen im Elternbett (siehe Schlafempfehlungen für das 1. Lebensjahr)12-15
    • Schlafen im eigenen Zimmer
    • zu hohe Schlafzimmertemperatur
    • große Kopfkissen und Bettdecken12
    • Alkohol- oder Drogenkonsum der Eltern

ICD-10

  • R95 Plötzlicher Kindstod, Sudden Infant Death Syndrom
    • R95.0 Plötzlicher Kindstod mit Angabe einer Obduktion
    • R95.9 Plötzlicher Kindstod ohne Angabe einer Obduktion

Diagnostik

Diagnostische Kriterien

  • Feststellung des Todes, Informationen hierzu finden Sie im Artikel Leichenschau.
  • Kein Nachweis eines ursächlichen morphologischen Befundes
  • Im Obduktionsbefund häufig schaumiges Sekret in und vor den Atemwegen, Petechien auf Pleura, Perikard und Thymus, verdickte Alveolarsepten

Differenzialdiagnosen

  • Komatöser Zustand
    • Intoxikation und Hypothermie
    • Hypoglykämie, Azidose und Elektrolytentgleisungen
    • Bradykardie/Asystolie durch vagale Reizung
  • Kindstötung
  • Andere organisch oder extern bedingte Todesursachen

Anamnese

  • Bislang gesundes und unauffälliges Kind, anamnestisch kein Hinweis auf Todesursache, Versterben plötzlich und unerwartet

Therapie/Prävention

Ziel

  • Weitere Reduktion der Inzidenz des plötzlichen Kindstodes durch Primärprävention
  • Identifikation von Risikofamilien und Optimierung der Sekundärprävention

Primärprävention: Schlafempfehlungen für das 1. Lebensjahr

  • Aufklärung junger Eltern
  • Die Erfahrungen zeigen, dass die heutigen Schlafempfehlungen der richtige Weg sind, das Risiko des Plötzlichen Kindstodes zu vermindern.

Rückenlage

  • Legen Sie Ihr Baby zum Schlafen immer auf den Rücken. Auch die Seitenlage ist nicht empfehlenswert, weil sich das Baby im Schlaf auf den Bauch drehen könnte.
  • Nichtrauchen: Sorgen Sie unbedingt dafür, dass zumindest im Schlafzimmer nicht geraucht wird. Am besten verzichten Sie ganz auf das Rauchen.

Babybett im Elternschlafzimmer

  • Legen Sie Ihr Baby möglichst in sein eigenes Bettchen in Ihrem Schlafzimmer.
  • Das Bettzeug: spartanisch
  • Stellen Sie sicher, dass der Kopf Ihres Babys nicht durch Bettzeug bedeckt werden kann.
    • Verwenden Sie Schlafsäcke statt Bettdecken.
    • Falls Sie eine Bettdecke vorziehen: Schlagen Sie diese am Fußende des Bettes unter die Matratze. Das Kind darf nur bis zur Brust zugedeckt sein.
  • Verwenden Sie für das Babybett eine Matratze, die nicht zu weich ist.
  • Geben Sie Ihrem Baby kein Kopfkissen.
  • Hängen Sie keine Schnüre oder Bänder in Reichweite Ihres Kindes auf. Verzichten Sie auf Halskettchen, Ohrringe u. Ä. und geben Sie nur ein kleines Kuscheltier mit ins Bett.

Überwärmung vermeiden

  • Vermeiden Sie Überwärmung. Ihrem Kind darf weder zu heiß noch zu kalt sein.
    • Die Zimmertemperatur sollte beim Schlafen etwa bei 16–18 °C liegen.
  • Falls Sie keinen Schlafsack benutzen, genügt im Sommer eine leichte Baumwolldecke, im Winter eine leichte Daunendecke. Für Babys mit Allergierisiko gibt es Allergikerdecken.
  • Body/Unterhemd und Schlafanzug sind als Bekleidung ausreichend. Wenn es heiß ist, können Sie noch ein Teil weglassen.
  • Ziehen Sie Ihrem Kind im Haus kein Mützchen an.
  • Verzichten Sie auf Wärmflaschen, Heizkissen, „Nestchen", dicke Bettdecken und Felle im Babybett.
  • Stellen Sie das Babybett nicht neben die Heizung oder in die pralle Sonne.

Sekundärprävention

  • Identifizierung von Risikofamilien
  • Intensivierung der Beratung
  • Keine Evidenz für Reduktion des SIDS-Risikos durch Heimmonitoring
    • Einsatz von Heimmonitoring (mit Pulsoxymeter, Herzfrequenzmessung) nach individueller Maßgabe (z. B. psychologische Indikation nach Verlust eines Kindes, Verbesserung der Compliance bezüglich anderer Risikofaktoren etc.)

Patienteninformationen

Patienteninformationen in Deximed

Quellen

Literatur

  1. Bergman AB, Beckwith JB, Ray GC. Sudden infant death syndrome: proceedings of the second international conference on causes of sudden death in infants.. University of Washington Press, Seattle London 1970.
  2. Willinger M, James LS, Catz C. Defining the sudden infant death syndrome:deliberations of an expert panel convened by the National Institute of Child Health and Human Development. Pediatr Pathol 1991; 11: 677-684. doi:10.3109/15513819109065465 DOI
  3. Fleming PJ, Blair PS, Pease A. Sudden unexpected death in infancy: aetiology, pathophysiology, epidemiology and prevention in 2015. Arch Dis Child 2015; 100: 984-988. doi:10.1136/archdischild-2014-306424 DOI
  4. Carlin RF, Moon RY. Risk Factors, Protective Factors, and Current Recommendations to Reduce Sudden Infant Death Syndrome A Review. JAMA 2017; 171(2): 175-80. pmid:25996397 PubMed
  5. Galland BC,Taylor BJ,Bolton DP. Prone versus supine sleep position: a review of the physiological studies in SIDS research.. J Paediatr Child Health 2002; 38: 332-338. pmid:12173990 PubMed
  6. Duncan JR, Paterson DS, Hoffman JM. Brainstem serotonergic deficiency in sudden infant death syndrome. JAMA 2010; 303: 430-37. Journal of the American Medical Association
  7. Malloy MH. SIDS - a syndrome in search of a cause. N Engl J Med 2004; 351: 957-9.
  8. Horne RSC, Hauck FR, Moon RY. Sudden infant death syndrome and advice for safe sleeping. Clinical review. BMJ 2015; 350: h1989. doi:10.1136/bmj.h1989 DOI
  9. Beal SM, Finch CF. An overview of retrospective case-control studies investigating the relationship between prone sleeping position and SIDS. J Paediatr Child Health 1991; 27: 334-9.
  10. Carpenter RG, Irgens LM, Blair PS, et al. Sudden unexplained infant death in 20 regions in Europe: case control study. Lancet 2004; 363: 185-91.
  11. Wong FY, Witcombe NB, Yiallourou SR. Cerebral oxygenation is depressed during sleep in healthy term infants when they sleep prone. Pediatrics 2011; 127: e558-65. Pediatrics
  12. Anderson HR, Cook DG. Passive smoking and sudden infant death syndrome: review of the epidemiological evidence. Thorax 1997; 52: 1003-9.
  13. Colvin JD, Collie-Ackers V, Schunn C, Moon RY. Sleep eviroment risks for younger and older infants. Pediatrics 2014. doi:10.1542/peds.2014-0401 DOI
  14. Scheers NJ, Rutherford GW, Kemp, JS. Where should infants sleep? A comparison of risk for suffocation of infants sleeping in cribs, adult beds, and other sleeping locations . Pediatrics 2003; 112: 883-9.
  15. Blair PS, Sidebotham P, Evason-Coombe C, et al. Hazardous cosleeping environments and risk factors amenable to change: case-control study of SIDS in south west England. BMJ 2009; 339: b3666. BMJ (DOI)

Autoren

  • Anne Strauß, Ärztin in Weiterbildung Pädiatrie, Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin, Universitätsklinikum Freiburg

Link lists

Authors

Previous authors

Updates

Gallery

Snomed

Click to edit