Allgemeine Informationen
Definition
- Als Diarrhö bezeichnet man drei oder mehr dünnflüssige Entleerungen innerhalb von 24 Stunden oder mind. Zwei Stühle mehr als die für das Kind übliche Anzahl mit oder ohne Erbrechen bzw. Fieber.
- Das Auftreten von blutigen Durchfällen ist ein besonderes Warnzeichen für das Vorliegen einer schweren Erkrankung, das Kind sollte möglichst umgehend in der Kinder- oder Hausarztpraxis vorgestellt werden.
- Die Ursachen können vielgestaltig sein.
- Eine blutige Diarrhö tritt meist als akuter Durchfall in Erscheinung.
- Akuter Durchfall ist ein Ungleichgewicht zwischen Sekretion und Resorption im Darm und kann durch unterschiedliche Ursachen hervorgerufen werden.
- Als abwendbar gefährlicher Verlauf bei einem akuten (blutigen) Durchfall gilt das HUS-Syndrom aufgrund einer Infektion mit enterohämorrhagischen E. coli (EHEC), das sich mit akutem Durchfall, AZ-Reduktion, Blässe, Ödemen, Hämaturie, hämolytischen Anämien, Thrombopenie und einer Niereninsuffizienz äußert.
Häufigkeit
- Häufigkeit akuter Gastroenteritis bei Kindern < 3 Jahre: in Europa bei 0,5–2 Episoden pro Kind und Jahr
- Aufgrund von Daten aus Großbritannien wird von folgender Prävalenz ausgegangen:1
- 50–75 Kinder auf 100.000 Einw. mit blutiger Diarrhö aufgrund einer Darminfektion
- 2–3 Kinder auf 100.000 Einw. aufgrund einer entzündlichen Darmerkrankung
- HUS: Das typische Alter bei Erkrankung liegt zwischen 2 und 5 Jahren. Die Inzidenz liegt bei etwa 0,1 pro 100.000 Einw.
Diagnostische Überlegungen
- Darminfektionen sind die Hauptursache für blutige Diarrhö bei Kindern aller Altersgruppen.
- Es handelt sich um eine akute Erkrankung, die in der Regel vorübergeht.
- Bei blutiger Diarrhö sollte primär an eine bakterielle Genese gedacht werden.
- Die bakterielle Gastronenteritis ist deutlich seltener als die virale.
- Kommt eher bei Kindern ab 2 Jahren vor.
- Aufgrund der Schwere und Häufigkeit eines Ausbruchs sollte eine Infektion mit E. coli in Betracht gezogen werden. Enterohämorrhagische E. coli (EHEC)-Infektionen können zu schweren Komplikationen in Form des hämolytisch-urämischen Syndroms (HUS), insbesondere bei Kindern führen.2
- Entzündliche Darmerkrankungen treten selten vor dem 1. Lebensjahr auf.
Konsultationsgrund
- Bei Blut im Stuhl wird in der Regel schnell eine Arztpraxis aufgesucht, da es bei kleineren Kindern rasch entdeckt wird.
- Ältere Kinder erzählen evtl. nicht sofort, dass sie Blut im Stuhl entdeckt haben, sodass erst spät eine Arztpraxis aufgesucht wird.
Abwendbar gefährliche Verläufe
- Invagination: Es kann zu symptomfreien Intervallen kommen.
- EHEC mit HUS: Eine klinische Abgrenzung von anderen bakteriellen Ursachen ist schwierig.
ICD-10
- A02.9 Salmonelleninfektion, nicht näher bezeichnet
- A03.9 Shigellose, nicht näher bezeichnet
- A04.0 Darminfektion durch enteropathogene Escherichia coli
- A04.1 Darminfektion durch enterotoxinbildende Escherichia coli
- A04.2 Darminfektion durch enteroinvasive Escherichia coli
- A04.3 Darminfektion durch enterohämorrhagische Escherichia coli
- A04.5 Enteritis durch Campylobacter
- A04.6 Enteritis durch Yersinia enterocolitica
- A04.7 Enterokolitis durch Clostridium difficile
- A04.9 Bakterielle Darminfektion, nicht näher bezeichnet
- A06.9 Amöbiasis, nicht näher bezeichnet
- A09.0 Sonstige und nicht näher bezeichnete Gastroenteritis und Kolitis infektiösen Ursprungs
- K92.2 Gastrointestinale Blutung, nicht näher bezeichnet
- P54.3 Sonstige gastrointestinale Blutung beim Neugeborenen
Differenzialdiagnosen
Kinder unter 1 Jahr: häufige Ursachen
Bakterielle Darminfektionen
- Die Diarrhö kann blutig sein.
- Akute Erkrankung, häufig mit Fieber und herabgesetztem Allgemeinzustand, aber insbesondere bei EHEC kann das Fieber bereits gesunken sein, wenn eine Arztpraxis aufgesucht wird.
- Die häufigsten Krankheitserreger sind Campylobacter, Salmonellen, Yersinien, ETEC und Shigellen.
- Häufig nach einer Auslandsreise, aber eine Ansteckung hierzulande ist ebenfalls möglich.
- Ermittlung symptomatischer Kontaktpersonen
- Anzeichen von Exsikkose? Kleinkinder sollten relativ früh in ein Krankenhaus eingewiesen werden.
- Eine Infektion mit E. coli sollte in Betracht gezogen werden.
- Enterohämorrhagische E. coli (EHEC) gelten als humanpathogene Variante der Shigatoxin-produzierenden E. coli (STEC).
- Mögliche schwere Komplikation insbesondere bei Kindern: das hämolytisch-urämischen Syndrom (HUS).2
- Das HUS ist definiert durch die Trias:
- mikroangiopathische, hämolytische Anämie (MAHA)
- Thrombozytopenie
- akute Nierenfunktionseinschränkung (Acute Kidney Injury, AKI)
- Das HUS ist eine häufige Ursache des akuten, dialysepflichtigen Nierenversagens im Kindesalter.
- Differenzialdiagnostisch sollte an eine Infektion mit Clostridium difficile gedacht werden, insbesondere nach Anwendung von Antibiotika: pseudomembranöse Kolitis.
Virale Gastroenteritis
- Mehrere Personen im Umfeld des Kindes hatten Gastroenteritis.
- Häufig, aber nicht immer, kommt es auch zu Erbrechen.
- Fieber tritt häufig auf.
Säuglingskolitis
- Diarrhö mit Schleim und Blut, Allgemeinzustand jedoch relativ gut
- Unspezifische Kolitis
- wässriger, schleimiger und evtl. mit Blut vermischter Stuhl
- Muttermilchinduzierte Kolitis
- Es wird angenommen, dass die Allergie über Antigene der Mutter übertragen wird.
- Kuhmilchinduzierte Kolitis
- Es besteht eine Allergie gegen Kuhmilcheiweiß.
- Diese Kolitisarten sind in der Regel gutartig und vorübergehend.
Kinder unter 1 Jahr: seltene Ursachen
Invagination
- Tritt am häufigsten zwischen 6 und 12 Monaten auf, kann jedoch von 3 Monaten bis 6 Jahren vorkommen.
- Kann im Zusammenhang mit einer Darminfektion auftreten, bei Kindern unter 1 Jahr meist idiopathisch.
- Befunde
- plötzlich einsetzende, krampfartige Bauchschmerzen
- himbeergeleeartiger Stuhlabgang (Spätsymptom)
- palpable walzenförmige Struktur, ggf. Abwehrspannung
- galliges Erbrechen
- Die Diagnose wird durch Ultraschall bestätigt.
Malrotation und Volvulus
- Kolikartige, akute Bauchschmerzen
- Symptome sind Blähbauch, Erbrechen und evtl. blutige Diarrhö.
- Akute Erkrankung, die im Krankenhaus behandelt werden muss.
- Bei einer Malrotation kann sich der Zustand plötzlich verbessern, aber es kann auch zu Perioden mit akuten, starken Bauchschmerzen kommen.
Nekrotisierende Enterokolitis
- Diese schwere Erkrankung tritt in der Regel bei Frühchen in den ersten Lebenswochen auf.
- Sie kann jedoch auch sehr selten bei reifen Neugeborenen bis zur 10. Lebenswoche vorkommen.
- Symptome sind blutige Diarrhö, Bauchschmerzen, Blähbauch und galliges Erbrechen.
Morbus Hirschsprung
- Angeborene Erkrankung, bei der ein aganglionäres Segment des Kolons auftritt.
- Häufig erfolgt der Mekoniumabgang verzögert. Die Erkrankung kann auch später, selbst nach dem 1. Lebensjahr, symptomatisch werden.
- Ileus ist ein häufiges erstes Symptom. Es kommt zu Verstopfung und evtl. blutigem Stuhl.
- Die Diagnose erfolgt durch eine Röntgenkontrasteinlauf, Anorektale Manometrie oder Sonografie und wird durch eine rektale Biopsie bestätigt.
Entzündliche Darmerkrankungen
- Colitis ulcerosa und Morbus Crohn treten selten vor dem 1. Lebensjahr auf.
- Es kommt zu anhaltender Diarrhö, möglicherweise mit Blut vermischt.
- Der Allgemeinzustand ist beeinträchtigt, und es kommt zu einer ungenügenden Gewichtszunahme.
Kinder über 1 Jahr: häufige Ursachen
Bakterielle Darminfektionen
- Es gelten die selben Überlegungen wie bei Kindern unter 1 Jahr, s. o.
Virale Gastroenteritis
- Es gelten die selben Überlegungen wie bei Kindern unter 1 Jahr, s. o.
Colitis ulcerosa
- Entzündliche Darmerkrankung
- Anhaltende oder wiederkehrende Diarrhö, oft blutig
- Geht häufig mit Bauchschmerzen und Allgemeinsymptomen einher.
- Appetitlosigkeit und Gewichtsverlust sind häufig.
Morbus Crohn
- Entzündliche Darmerkrankung
- Diarrhö: oft wässrig, in 20 % auch blutig
- Häufig Bauchschmerzen, Appetitlosigkeit und Gewichtsverlust
- Perianale Symptome (Abszesse, Fisteln) sind häufig.
- Bei Kindern sind die Symptome unspezifischer und die Differenzierung zw. Colitis ulcerosa und Morbus Chron schwieriger.3
Juveniles Polyposis-Syndrom
- Sehr seltene autosomal-dominant vererbte Erkrankung
- definiert durch das Auftreten von 5 oder mehr Polypen im Kolorektum und positiver Familienanamnese
- Sporadisch auftretende solitäre Polypen hingegen sind recht häufig, bei 2 % der pädiatrischen Patient*innen zu finden.
- Das kumulative Lebenszeitrisiko für das Auftreten eines kolorektalen Malignoms beträgt 39 %.4
- Der Stuhl enthält Blut und Schleim, mit oder ohne Diarrhö.
- Die Diagnose erfordert eine Koloskopie.
Obstipation
- Diarrhö nach Obstipation, reflektorische Diarrhö
- Es kommt zu Blutungen durch Hauteinrisse nach hartem Stuhl.
- Fieber tritt nicht auf.
- Häufig kommt es zu vermindertem Appetit und wiederkehrenden Bauchschmerzen über Monate/Jahre.
Kinder über 1 Jahr: seltene Ursachen
Invagination
- S. o.
- Ab dem 3. Lebensjahr häufig ausgelöst durch eine Leitstruktur (Meckel-Divertikel, Darmduplikaturen, Appendix, Adhäsionen, Raumforderungen).
Malrotation und Volvulus
- Wie bei Kindern unter 1 Jahr: s. o.
Analprolaps
- Die Schleimhaut des Analkanals tritt bei der Defäkation sichtbar hervor.
- Eine Reposition nach Defäkation ist möglich, sodass der Vorfall oft schwer zu erkennen ist.
Purpura Schönlein-Henoch
- Vaskulitis mit häufiger Beteiligung der Darmschleimhaut
- Purpura (Hautpetechien), Bauchschmerzen und Arthritis
- Sichtbare Blutungen (Hämatochezie) oder Teerstuhl (Meläna) in ca. 10 % der Fälle5
Anamnese
Wichtige Fragen
- Alter des Kindes
- Risikofaktoren und Vorerkrankungen (z. B. ehemaliges Frühgeborenes?)
- Dauer der Erkrankung, seit wie vielen Stunden Durchfall und seit
wie vielen Stunden Erbrechen? Wie häufig?
- Ist das Erbrochene grünlich (Galle)?
- erhöhtes Risiko für Darmverschluss (Ileus)
- Akuter oder schleichender Beginn?
- Trinkt das Kind (noch)?
- Scheidet das Kind (noch) Urin aus?
- Welche Behandlungsmaßnahmen wurden durchgeführt (Antiemetika, orale Rehydrationslösung)?
- Hat das Kind Fieber und was war die höchste gemessene Temperatur?
- Wie wach ist das Kind, gibt es Verhaltensauffälligkeiten?
- Schmerzen? Art der Schmerzen und schmerzfreie Intervalle?
- Gibt es Abweichungen von der Wachstumskurve?
- Kam es bereits früher zu Vorfällen mit sichtbarem Blut im Stuhl?
- Hat es vor kurzem Antibiotika erhalten?
- Auslandsaufenthalte?
- Gibt es andere Personen im Umfeld des Kindes mit blutiger Diarrhö? Tierkontakte? Aufnahme potenziell kontaminierter Nahrungsmittel?
- Es muss zwischen infektiöser und nichtinfektiöser Diarrhö unterschieden werden.
Klinische Untersuchung
- Kontrolle des Flüssigkeitshaushalts: insbesondere bei Säuglingen und Kleinkindern
- Zeichen einer mittelgradigen Dehydratation
- 5–9 % Gewichtsverlust
- verlängerte kapilläre Füllungszeit (> 2 sec)
- reduzierter Hautturgor
- „klebrige“ Schleimhäute
- verminderte Tränenbildung
- leicht eingesunkene Augen
- vertiefte Atmung
- Irritabilität
- Fieber
- reduzierte Urinproduktion
- Zeichen einer mittelgradigen Dehydratation
- Abdomenuntersuchung, Lokalisierung der Schmerzen evtl. schwierig
- Differenzialdiagnostisch Ursachen eines akuten Abdomens in Betracht ziehen.
- Zeichen einer vitalen Gefährdung
- eingeschränktes Bewusstsein
- kaltschweißige Haut
- extrem eingesunkene Augen (ggf. Fontanelle)
- trockene Schleimhäute (Zunge)
- fehlende Tränen
- schlaffer Muskeltonus
- ≥ 10 % Verlust des Körpergewichts
- verlängerte kapilläre Füllungszeit (> 3 sec)
- Tachypnoe/Azidose-Atmung
- Tachykardie
- Anurie
Ergänzende Untersuchungen in der Hausarztpraxis
- Bei Verdacht auf eine infektiöse Ursache: mikrobiologische Untersuchungen
- Bei bekannten Ausbrüchen von EHEC oder einem starken klinischen Verdacht auf EHEC sofortige Einweisung in eine Kinderklinik.
- Calprotectin im Stuhl ist nicht nur bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen erhöht, sondern auch bei infektiösen Magendarmerkrankungen.
- Bei schweren Blutungen Hb und ggf. CRP
- Inspektion des Stuhls: ggf. schleimiger Stuhl bei Kindern unter 1 Jahr (Invagination)
Maßnahmen und Empfehlungen
Indikationen zur Überweisung/Klinikeinweisung
- Bei vitaler Gefährdung oder akutem Abdomen sofortige Krankenhauseinweisung
- Bei klinischen Zeichen einer mittelgradigen oder schweren Dehydratation, v. a. bei Kleinkindern sofortige Krankenhauseinweisung
- Mehr als 6 blutige Stühle pro Tag oder schlechter Allgemeinzustand des Kindes: sofortige Untersuchung und Behandlung im Krankenhaus
- Weniger als 6 blutige Stühle pro Tag und guter Allgemeinzustand
- Stuhluntersuchung und Beobachtung
- bei Persistenz > 5 Tage Überweisung an eine qualifizierte Kinderarztpraxis oder an Kindergastroenterologie
- bei Säuglingen und Kleinkindern auch früher
Verlaufskontrolle
- Kontrolltermin nach einer Krankheitsdauer von 5 Tagen
- oder bei jeglicher Verschlechterung der Symptome
- insbesondere auch bei Verringerung der Urinmenge des Kindes
- Die meisten Fälle von blutiger Diarrhö werden durch Infektionen verursacht.
- meist bakteriell, teilweise auch viral, i. d. R. selbstlimitierend
- Abwendbar gefährliche Verläufe: Invagination, Malrotation, Ileus , HUS, schwere Dehydratation
- Entzündliche Darmerkrankungen sind bei Kindern selten, aber blutige Diarrhö über mehr als 6 Tage erhöht die Wahrscheinlichkeit.
Patienteninformationen
Worüber sollten Sie die Patient*innen informieren?
- Erneuter Arztbesuch bei einer Krankheitsdauer über 5 Tage
- Erneuter Arztbesuch bei verminderter Urinmenge oder Verschlechterung der Symptomatik
Quellen
Literatur
- Murphy MS. Management of bloody diarrhoea in children in primary care . BMJ 2008; 336: 1010-5. www.bmj.com
- Locking M, Cowden J. Escherichia coli O157. BMJ 2009; 339: b4076. BMJ (DOI)
- Yu YR, Rodriguez JR. Clinical presentation of Crohn's, ulcerative colitis, and indeterminate colitis: Symptoms, extraintestinal manifestations, and disease phenotypes. Semin Pediatr Surg. 2017 Dec;26(6):349-355. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
- Brosens LA, Langeveld D, van Hattem WA, Giardiello FM, Offerhaus GJ. Juvenile polyposis syndrome. World J Gastroenterol. 2011 Nov 28;17(44):4839-44. www.ncbi.nlm.nih.gov
- Hetland LE, Susrud KS, Lindahl KH, Bygum A. Henoch-Schönlein Purpura: A Literature Review. Acta Derm Venereol. 2017 Nov 15;97(10):1160-1166. www.medicaljournals.se
Autor*innen
- Franziska Jorda, Dr. med., Fachärztin für Viszeralchirurgie, Ärztin in Weiterbildung Allgemeinmedizin, Kaufbeuren