Generalisierte Angststörung

Zusammenfassung

  • Definition:Anhaltende Angst, die nicht auf bestimmte Umgebungsbedingungen beschränkt ist („frei flottierende Angst“), meist begleitet von erhöhter Körperspannung, vegetativer Hyperaktivität und erhöhter Aufmerksamkeit auf die Umgebung.
  • Häufigkeit:Lebenszeitprävalenz ca. 3–5 %; 12-Monats-Prävalenz 2,2 %; Frauen/Männer ca. 2/1; durchschnittliches Ersterkrankungsalter: 31 Jahre.
  • Symptome:Typisch sind ständige Nervosität, Zittern, erhöhte Muskelspannung, Schwitzen, Benommenheit, Palpitationen,  Schwindelgefühle und Oberbauchbeschwerden. Die Patient*innen machen sich häufig Sorgen, ihnen selbst oder nahestehenden Personen könne ein Unglück geschehen.
  • Befunde:Evtl. Zeichen autonomer Hyperaktivität.
  • Diagnostik:Basiert auf der Anamnese; ggf. umfassendere Psychodiagnostik zur differenzialdiagnostischen Abgrenzung und Detektion psychischer Komorbidität. Körperliche Untersuchung, Basislabor und EKG zum Ausschluss somatischer Ursachen der Symptomatik; ggf. weiterführende internistische, neurologische oder HNO-ärztliche Diagnostik.
  • Therapie:Psychotherapie: Kognitive Verhaltenstherapie oder psychodynamische Verfahren, Patientenselbsthilfe- und Angehörigengruppen. Medikamentöse Therapie: 1. Wahl sind die SSRI Escitalopram oder Paroxetin und die SNRI Venlafaxin oder Duloxetin. In 2. Linie kann Pregabalin eingesetzt werden. Opipramol und Buspiron sind Reservemedikamente. Benzodiazepine wegen des hohen Suchtpotenzials nur in gut begründeten Ausnahmefällen.

Allgemeine Informationen

Definition nach ICD-10

  • Die Angst ist generalisiert und anhaltend.
    • Sie ist nicht auf bestimmte Umgebungsbedingungen beschränkt oder auch nur besonders betont in solchen Situationen, sie ist vielmehr „frei flottierend“.
  • Die wesentlichen Symptome sind variabel. Zum Störungsbild gehören:
  • Häufig äußern die Patient*innen die Befürchtung, sie selbst oder Angehörige könnten demnächst erkranken oder einen Unfall haben.

Häufigkeit

  • Lebenszeitprävalenz: ca. 3–5 %
  • 12-Monats-Prävalenz: 2,2 %
  • Frauen/Männer: ca. 2/1
  • Durchschnittliches Ersterkrankungsalter: 31 Jahre

Komorbidität

Ätiologie und Pathogenese

  • Vermutlich durch ein komplexes Wechselspiel von:
    • genetischen Faktoren, die sich in neurobiologischen Veränderungen zu manifestieren scheinen.
    • psychosozialen Faktoren.
  • Angstbesetzte Erlebnisse als mögliche Auslöser
    • Beispielsweise können sich eine Phobie oder Zustände der Besorgnis nach einem Unglück zu einer generalisierten Angststörung ausweiten.
  • Gehäuft somatische Beschwerden, die wiederum Grund zu weiterer Sorge bieten.
  • Patient*innen reagieren auf Stress oft in einer rigiden und stereotypen Weise.
    • Unklar ist, ob dies Ursache oder Wirkung der Angststörung ist.

Prädisponierende Faktoren

  • Ein hohes Maß an „Eigenschaftsangst“ („Trait Anxiety“, ängstliche Persönlichkeit)
  • Familiäre Belastung
  • Stress in Verbindung mit unzureichenden Bewältigungsstrategien
  • Trauma

ICPC-2

  • P74 Angststörung/Panikattacke

ICD-10

  • F41 Andere Angststörungen
    • F41.1 Generalisierte Angststörung

Diagnostik

Allgemeines

  • Bei Patient*innen mit Angstsymptomen ist primäres Ziel der Diagnostik in der Hausarztpraxis, Angststörungen und begleitende psychische Störungen rechtzeitig zu erkennen, um zu einer spezifischen Behandlung zu motivieren.

Diagnostische Kriterien

  • Definition nach ICD-10
    • ausgeprägte Sorge über alltägliche Dinge und Furcht vor künftigen Katastrophen
    • Die Angststörung besteht in der Regel über ≥ 6 Monate hinweg an den meisten Tagen.
  • Häufige Symptome neben den in der ICD-10 genannten:
    • erhöhte Körperspannung
      • leichte Ermüdbarkeit
      • Konzentrationsschwierigkeiten
      • Reizbarkeit
      • nächtliches Zähneknirschen
    • autonome Hyperaktivität (jedoch keine Panikattacken)
    • gesteigerte Aufmerksamkeit gegenüber der Umgebung
  • Das Unbehagen ist nicht auf spezielle Situationen bezogen („frei flottierende Angst“), sondern wird durch ein katastrophisierendes Denken in Bezug auf zukünftige Ereignisse ausgelöst.
  • Typische Angstthemen
    • die eigene Gesundheit und die der Angehörigen
    • Arbeit
    • Finanzen
  • Die Patient*innen leben in der ständigen Erwartung, dass alle denkbaren negativen Ereignisse tatsächlich eintreffen werden.

Differenzialdiagnosen

Anamnese

  • Fokussierte Fragen
    • Fühlen Sie sich nervös oder angespannt?
    • Machen Sie sich häufig über Dinge mehr Sorgen als andere Menschen?
    • Haben Sie das Gefühl, ständig besorgt zu sein, und dies nicht unter Kontrolle zu haben?
    • Befürchten Sie oft, dass ein Unglück passieren könnte?
  • Ängstliche, besorgte Grundstimmung?
  • Weitere typische Symptome (s. o.)?
  • Familiäre Belastung mit Angststörungen oder anderen psychischen Störungen?
  • Traumatische Lebensereignisse?
  • Schwierigkeiten im Umgang mit Stress?
  • Lebensstilfaktoren
    • Rauchen
    • Alkohol
    • Koffein
    • Medikamente mit Suchtpotenzial
    • Schlaf
    • Tagesrhythmus
    • Wohn- und Lebenssituation
    • Konflikte mit Partner*in oder Familienangehörigen
    • berufliche Situation
  • Somatische Beschwerden (s. o.)?

Testverfahren

  • Zur Ergänzung der Anamnese kann einer der folgenden Fragebögen bei der Diagnose von Angststörungen behilflich sein.
  • Speziell für die generalisierte Angststörung
    • Generalised Anxiety Disorder Assessment (GAD-2/GAD-7)
  • Für die Abgrenzung verschiedener Angststörungen
    • Mini-International Neuropsychiatric Interview (MINI)
  • Für alle Arten von Angststörungen und Depressionen
    • Patient Health Questionnaire for Depression and Anxiety (PHQ)
  • Zur Abgrenzung der generalisierten Angststörung von anderen Angststörungen sowie für Schweregradbestimmung und Verlaufsdiagnostik
    • Beck-Angst-Inventar (BAI)
  • Zur Erfassung von Angst und Depression bei Patient*innen mit körperlichen Erkrankungen oder (möglicherweise psychogenen) Körperbeschwerden
    • Angst- und Depressionsskala (HADS)

Klinische Untersuchung

  • Viele Angst-Patient*innen kommen mit körperlichen Beschwerden wie Herzklopfen, Schwitzen, Zittern, Mundtrockenheit, Übelkeit, Schmerzen und Muskelverspannungen in die Praxis.
  • Diese Symptome sollen ernst genommen werden, um körperliche Erkrankungen ausschließen zu können.
  • Auch wenn sich die Symptome nicht organmedizinisch erklären lassen, dürfen die Beschwerden auf keinen Fall mit „das ist nur psychisch“ abgetan werden.
  • Andererseits ist eine somatische Fixierung durch apparative Überdiagnostik zu vermeiden.
    • Nur so viel Diagnostik wie notwendig ist, damit sich die Betroffenen sicher fühlen.
      • Technische Untersuchungen nicht zur Beruhigung einsetzen.
      • Negative Wirkung des Absicherungsverhaltens thematisieren: „Immer mehr Diagnostik wird Ihre Ängste wachsen lassen.“
    • Anamnese und körperliche Untersuchung ggf. wiederholen.
    • Ziele und mögliche Ergebnisse der Diagnostik im Voraus mit den Patient*innen besprechen.

Basisdiagnostik zum Ausschluss einer organischen Ursache der Beschwerden

  • Körperliche Untersuchung
  • Labor
  • EKG mit Rhythmusstreifen
  • Ggf. Lungenfunktion
  • Ggf. kranielle Bildgebung (MRT, CT)
  • Ggf. EEG

Ergänzende Untersuchungen: je nach klinischem Verdacht

  • Internistisch
    • Herzecho
    • Röntgen-Thorax
    • 24-Stunden-RR
    • 24-Stunden-EKG
  • Neurologisch
    • klinische Untersuchung
    • EEG
    • Bildgebung
    • Liquordiagnostik
    • Doppler Halsgefäße und transkraniell
  • HNO
    • Elektronystagmografie
    • Videonystagmografie
    • kalorischer Reflextest
    • Vestibularisprüfung
    • Rotationsprüfung

Indikationen zur Überweisung

  • Voraussetzungen für eine Behandlung in der Hausarztpraxis
    • Patient*innen mit leichter oder mittelschwerer Angststörung
    • lege artis durchgeführte Diagnostik möglicher somatischer und psychischer Erkrankungen
    • adäquate psychotherapeutische Qualifikation der Hausärztin/des Hausarztes – etwa durch eine Zusatzqualifikation in psychosomatischer Grundversorgung oder durch eine Weiterbildung in fachgebundener Psychotherapie
  • Überweisung zur Psychotherapie
    • nach spätestens 6 Wochen bei nicht ausreichender Besserung
    • Wenn die Störung zu erheblichen Funktionseinschränkungen oder Behinderungen im täglichen Leben führt.
    • auf Wunsch der Patient*innen
  • Überweisung zu einer Fachärztin/einem Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie
    • unzureichendes Ansprechen auf die empfohlenen Standardmedikamente
      • Reservemedikamente wie Duloxetin, Moclobemid und Buspiron gehören zum Kompetenzbereich von Spezialist*innen.
  • Mögliche Indikationen für eine stationäre oder teilstationäre Behandlung
    • Suizidalität
    • ausgeschöpfte oder nicht verfügbare ambulante Behandlungsmaßnahmen
    • besonders schwere Symptomatik, z. B. ausgeprägtes Vermeidungsverhalten
    • Ko- und Multimorbidität
    • belastendes soziales Umfeld, z. B. eskalierende Konflikte in Paarbeziehung oder Familie

Therapie

Behandlungsindikationen

  • Angststörung nach ICD-10 – oder –
    • mittlerer bis schwerer Leidensdruck der Patient*innen
    • psychosoziale Einschränkungen
    • mögliche Komplikationen, z. B. Suchterkrankung

Therapieziele

  • Angst und Vermeidungsverhalten reduzieren
  • Lebensqualität verbessern
  • Rückfallwahrscheinlichkeit reduzieren
  • Einschränkung der Bewegungsfähigkeit bessern
  • Soziale Integration verbessern
  • Berufliche Leistungsfähigkeit wiederherstellen

In der hausärztlichen Versorgung

  • Vorbeugen
  • Vermeiden: somatische Fixierung durch Überdiagnostik
  • Reaktivieren
    • Alltagsaktivitäten
    • ggf. berufliche Tätigkeit
    • soziale Teilhabe
  • Ermutigen
    • mit der Angst leben
    • Wege aus der Angst finden
  • Im Gespräch bleiben.
    • individuelle Ziele an der Lebenssituation der Betroffenen orientieren

Allgemeines zur Therapie

  • Patient*innen mit einer generalisierten Angststörung soll angeboten werden:
    • Psychotherapie
    • Pharmakotherapie
  • Dabei soll die Präferenz der informierten Patient*innen berücksichtigt werden.
  • Im Informationsgespräch sollen insbesondere folgende Aspekte eine Rolle spielen:
    • Wirkeintritt
    • Nachhaltigkeit
    • unerwünschte Wirkungen
    • Verfügbarkeit
  • In Fällen, in denen eine Psycho- oder Pharmakotherapie nicht ausreichend wirksam war, soll die jeweils andere Therapieform angeboten werden oder kann eine Kombination von Psychotherapie und Pharmakotherapie angeboten werden.
  • Die Wirksamkeit von Psychotherapie bei generalisierter Angststörung ist belegt.
    • Am besten untersucht, auch bei älteren Patient*innen, ist die kognitive Verhaltenstherapie.
    • Sie ist gegenüber einer medikamentösen Behandlung zu bevorzugen.
  • Empfohlene Medikamente
    • Antidepressiva (SSRI, SNRI) sind die Medikamente der 1. Wahl.
    • Pregabalin kann wirksam sein, ist aber nur zu empfehlen, wenn die Therapie mit Antidepressiva keinen zufriedenstellenden Erfolg erbracht hat.
      • Risiko von Sucht und Missbrauch
    • Benzodiazepine sollten wegen des hohen Suchtpotenzials vermieden werden.

Psychotherapie

Kognitive Verhaltenstherapie

  • Elemente der kognitiven Verhaltenstherapie bei generalisierter Angststörung
    • Psychoedukation
      • Informationsvermittlung über das Störungsbild
      • Häufig auftretende Sorgen und körperliche Ausdrucksformen der Angst werden besprochen.
      • geeignete Selbsthilfematerialien
    • kognitive und metakognitive Ansätze
      • Positive und negative Kognitionen und Metakognitionen (besorgt sein über die befürchteten Auswirkungen des eigenen Besorgtseins) bearbeiten.
      • Unrealistische Annahmen bezüglich des Nutzens und der Nachteile von Sorgen überwinden.
      • Realistische Einschätzung erarbeiten: Wie wahrscheinlich treten die befürchteten Konsequenzen ein und wie viel Leiden wird dadurch verursacht?
      • Lernen, mit den Problemen umzugehen, die durch die Intoleranz gegenüber dem Gefühl der Unsicherheit und durch Perfektionismus entstehen.
    • Exposition
      • In-sensu-Exposition gegenüber befürchteten persönlichen Katastrophen und damit verbundenen Sorgen
      • Lernen, angstbesetzte Erfahrungen zu tolerieren, anstatt diese zu vermeiden.
    • Abbau von unangemessenem Sicherheitsverhalten
    • Emotionsregulation
      • Entspannungsverfahren
      • Übung von Akzeptanz und Mindfulness (Achtsamkeit)
    • Problemlösetechniken
      • Einüben von Problemlösungsstrategien, um inadäquate Lösungsansätze („sich Sorgen machen“) zu reduzieren.
      • Vermeidungsverhalten identifizieren und reduzieren.
      • Interpersonelle Kompetenzen stärken.
      • Lebensplanung, Ziele erarbeiten, angenehme Aktivitäten, psychisches Wohlbefinden wahrnehmen und wertschätzen.
    • Rückfallprävention
      • Vorbereitung für Zeitphasen, in denen erneut Ängste oder Ereignisse mit Bezug zu den vorherrschenden Sorgen eintreten.

Psychodynamische Psychotherapie

  • Analytische Psychotherapie
    • 2–3 Sitzungen pro Woche, bis zu 3 Jahre Gesamtdauer
    • Bearbeitung aktueller Konfliktthemen
    • Überwindung neurotischer Objekt- und Selbstrepräsentanzen
    • Bearbeitung dysfunktionaler Überzeugungen
    • Entwicklung von Strategien zur Problemlösung und Affektregulierung
  • Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie
    • 1 Sitzung pro Woche, bis zu 2 Jahren Gesamtdauer
    • fokussierte Bearbeitung von aktuellen interpersonellen Konflikten und ihrer Symptombildung
  • Fokaltherapie (Kurztherapie)
    • Behandlung wird stark auf die Bearbeitung eines Fokus begrenzt.
  • Psychodynamische Gruppentherapie
    • psychoanalytisch-interaktionell
      • Interaktionen der Gruppenteilnehmer*innen im Fokus
    • tiefenpsychologisch fundiert
      • Lernen, Beziehungen trotz Beziehungskonflikten zu sichern.
    • analytisch
      • Bezieht gesamte Psychodynamik ein, wie unbewusste infantile Phantasien in einem Prozess wechselnder Regressionstiefe.

Medikamentöse Therapie

Übersicht

  • Selektive Serotonin-Reuptake-Inhibitoren (SSRI)
    • Patient*innen mit einer generalisierten Angststörung sollen die SSRI Escitalopram oder Paroxetin angeboten werden.
    • Tagesdosierungen
      • Escitalopram 10–20 mg
      • Paroxetin 20–50 mg
  • Serotonin-Noradrenalin-Reuptake-Inhibitoren (SNRI)
    • Patient*innen mit einer generalisierten Angststörung sollen die SNRI Duloxetin oder Venlafaxin angeboten werden.
    • Tagesdosierungen
      • Duloxetin 60–120 mg
      • Venlafaxin 75–225 mg
  • Kalziummodulator
    • Patient*innen mit einer generalisierten Angststörung sollte Pregabalin angeboten werden.
      • Tagesdosierung: 150–600 mg
      • Wegen einer Zunahme von Missbrauchsfällen wird diese Empfehlung kritisch gesehen.
  • Trizyklisches Anxiolytikum oder Azapiron
    • Wenn die oben empfohlenen Therapien unwirksam waren oder nicht vertragen wurden,
      • kann Opipramol (Tagesdosierung: 50–300 mg) angeboten werden.
      • kann Buspiron (Tagesdosierung: 15–60 mg) angeboten werden.

Antidepressiva

  • Medikamente der 1. Wahl1
    • SSRI: Paroxetin oder Escitalopram
      • Citalopram ist nur zur Behandlung der Panikstörung zugelassen, ist aber in doppelter Dosis wirkäquivalent zu dem Enantiomer Escitalopram.
    • SNRI: Venlafaxin oder Duloxetin
  • Die Wirksamkeit ist gut belegt.
    • Die genannten Substanzen haben alle einen nachgewiesenen Nutzen bei einer generalisierten Angststörung.
      • Die angstlösende (anxiolytische) Wirkung tritt erst nach 2–4 Wochen ein.
      • Sie haben kein Suchtpotenzial.
      • Gleichzeitige depressive Symptome oder eine Chronifizierung verstärken die Indikation für die Gabe von Antidepressiva.
  • Näheres zum Nebenwirkungsspektrum und Interaktionspotenzial einzelner Antidepressiva siehe Artikel Depression.
  • Rezidivprophylaxe: Die Therapie nach Möglichkeit für mindestens 1 Jahr nach Remission fortsetzen.2
  • Langsam ausschleichen.
    • Die Behandlung mit SSRI und SNRI sollte bei Beendigung langsam reduziert werden, um Absetzphänomene zu vermeiden.

Pregabalin – Kalziummodulator und Antikonvulsivum

  • Die Wirksamkeit ist nachgewiesen.
    • im Vergleich zu Benzodiazepinen bei Patient*innen mit generalisierter Angststörung
    • Es fehlt an Vergleichsstudien zwischen SSRI/SNRI und Pregabalin.3
    • Der anxiolytische Effekt scheint ca. 1 Woche nach Beginn der Therapie einzutreten und wirkt sowohl auf die Angst als auch auf die somatischen Begleitsymptome.
      • In klinischen Studien lag die Abbruchrate wegen Nebenwirkungen bei ca. 12 %.
      • Die häufigsten Nebenwirkungen waren Schwindel und Müdigkeit.
  • Tagesdosis
    • zu Beginn 2 x 75 mg
    • Bei Bedarf nach 1 Woche auf 2 x 150 mg steigern.
    • Bei Bedarf nach einer weiteren Woche auf 2 x 225 mg steigern.
    • Höchstdosis 2 x 300 mg
  • Suchtpotenzial?
    • Ob Pregabalin ein relevantes Suchtpotenzial hat, ist kontrovers.4
      • Ein ausgeprägtes Suchtpotenzial wie bei Benzodiazepinen scheint nicht vorzuliegen.
    • Fallberichte über Missbrauch betrafen vor allem Personen, bei denen eine Abhängigkeit von anderen Substanzen vorlag und die Pregabalin in Kombination mit anderen Medikamenten oder Drogen einnahmen.
    • Wegen möglicher Absetzeffekte ist zum Ende der Therapie ein langsames Ausschleichen ratsam.
  • Einschränkungen
    • noch keine Langzeitstudien zu Wirksamkeit und Nebenwirkungen
    • Unsicherheiten über das optimale Behandlungsschema
    • hohe Kosten

Opipramol – trizyklisches Anxiolytikum (ähnliche chemische Struktur wie trizyklische Antidepressiva)

  • In einer dreiarmigen Studie wirksamer als Placebo und ebenso wirksam wie das Benzodiazepin Alprazolam
  • Langzeitstudien fehlen.
  • Kommt nur als Reservemedikament infrage.

Buspiron (5-HT1A-Agonist aus der der Gruppe der Azapirone)

  • Inkonsistente Ergebnisse aus kontrollierten Studien
  • Kommt nur als Reservemedikament infrage.

Benzodiazepine

  • Sind bei generalisierter Angststörung wirksam.
  • Aufgrund der gravierenden Nebenwirkungen (Abhängigkeitsentwicklung etc.) sollen Patient*innen mit einer generalisierten Angststörung dennoch keine Benzodiazepine angeboten werden.
  • In Ausnahmefällen (z. B. schwere kardiale Erkrankungen, Kontraindikationen für Standardmedikamente, palliative Situation, Suizidalität) können Benzodiazepine unter sorgfältiger Risiko-Nutzen-Abwägung zeitlich befristet angewendet werden.
    • Die Behandlung sollte in der Regel nur für wenige Wochen durchgeführt werden.
    • Nach längerer Behandlung sollten Benzodiazepine sehr langsam (ggf. über mehrere Wochen) ausgeschlichen werden.
    • Dosierungsbeispiel
      • Lorazepam 1–2,5 mg im akuten Angstanfall
    • Verordnung der kleinsten Packung oder Gabe einzelner Tabletten
    • begrenzte Verschreibungsdauer zu Beginn kommunizieren
    • Rezepte persönlich aushändigen

Cannabinoide

  • Angststörungen zählen zu den möglichen Indikationen für den therapeutischen Einsatz von Cannabinoiden.
  • Diese Einschätzung stützt sich auf:
    • Studien an Schmerz-Patient*innen, bei denen Angstsymptome unter den Cannabis-Präparaten Dronabinol, Nabilon oder Nabiximols (Näheres siehe Artikel  Cannabinoid-haltige Arzneimittel) zurückgingen.5
    • Eine kleine Studie, an der 24 Patient*innen mit sozialer Phobie teilnahmen. Diese erhielten randomisiert entweder Cannabidiol (CBD, Näheres siehe Artikel Cannabinoid-haltige Arzneimittel) oder Placebo. Im daraufhin durchgeführten Provokationstest, bei dem die Patient*innen eine Rede halten mussten, zeigten die mit CBD Behandelten niedrigere Angstwerte als die der Placebogruppe.6
  • Weitere randomisiert kontrollierte Studien zur Wirksamkeit von Cannabinoiden bei Angststörungen fehlen bislang.

Weitere Therapien

Körperliche Aktivität

  • Hat wahrscheinlich eine gewisse symptomlindernde Wirkung bei Kindern und Jugendlichen mit Angststörungen.
  • Allerdings ist aus den bisherigen Studien keine verlässliche Schlussfolgerung ableitbar.

Nichttherapeutenbasierte verhaltenstherapeutische Interventionen

  • Dazu zählt z. B. die Selbstbehandlung mithilfe von Büchern (Bibliotherapie), Audiomedien, computer- oder intergestützte KVT-Varianten.
  • Die Wirksamkeit solcher Verfahren ist unzureichend belegt.7
  • In Deutschland dürfen solche Verfahren ohne den Kontakt zu Therapeut*innen nicht angeboten werden.
  • KVT-basierte Internetinterventionen können aber zur Überbrückung bis zum Therapiebeginn oder therapiebegleitend als Anleitung zur Selbsthilfe dienen.

Komplementäre und alternative Medizin (CAM)8

  • Für die meisten CAM-Methoden ist eine Wirksamkeit bei Angstzuständen bislang nicht belegt.
  • Positive Ergebnisse zur anxiolytischen Wirksamkeit von Meditation sowie Lavendelöl- und Ginko-biloba-Extrakten stammen aus Studien mit methodischen Mängeln und bedürfen der Überprüfung in weiteren, geeigneten Studien.
  • Belege für einen Nutzen anderer pflanzlicher und homöopathischer Arzneimittel fehlen.
  • Entspannungsverfahren wie autogenes Training oder das Üben von Mindfulness (Achtsamkeit) scheinen vor allem als Elemente einer kognitiven Verhaltenstherapie (s. o.) von Nutzen zu sein.
  • Verschiedene Methoden therapeutischer Berührung wurden in kleineren, nicht randomisierten Studien untersucht, die keine zuverlässige Bewertung der Wirksamkeit erlauben.
  • Weitere Verfahren, für die eine Wirksamkeit weder bei Kindern noch bei Erwachsenen belegt werden konnte:
    • Akupunktur
    • Massage
    • Bibliotherapie
    • Tanztherapie
    • Bewegungstherapie
    • Musiktherapie

Rehabilitation

Indikationen

  • Eingetretene oder drohende Chronifizierung trotz Ausschöpfung der ambulanten Behandlungsmöglichkeiten
  • Gefährdung der Teilhabe am Erwerbsleben, vor allem bei länger als 6 Wochen anhaltender Arbeitsunfähigkeit infolge der Angststörung
  • Gefährdung der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben oder der Selbstständigkeit als Folge der Angststörung

Erwerbsminderungsrente?

  • Angststörungen und Depressionen sowie besonders auch komorbide Erkrankungen scheinen die Wahrscheinlichkeit späterer Rentenanträge zu erhöhen.
    • Das scheint auf junge Erwachsene noch stärker zuzutreffen als auf über 45-Jährige.
  • Patient*innen mit einer Angststörung werden nicht selten berentet, ohne dass alle ambulanten und stationären Behandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft worden sind.
  • Für die meisten Betroffenen ist es ratsam, eine berufliche Tätigkeit aufrechtzuerhalten und mithilfe therapeutischer Unterstützung zu lernen, mit den sozialen Herausforderungen am Arbeitsplatz zurechtzukommen.

Verlauf, Komplikationen und Prognose

Verlauf

  • Eine generalisierte Angststörung ist in der Regel eine chronische Erkrankung, die oft eine lebenslange Beobachtung und Therapie erfordert.
  • Meist phasenhafter Verlauf
  • Die Remissionsraten liegen bei 38 % nach 5 Jahren und bei 58 % nach 12 Jahren.
    • Bei 45 % der Patient*innen, bei denen die Erkrankung remittiert war, trat bis zum Ende des 12-jährigen Beobachtungszeitraums ein Rezidiv auf.
  • Rückgang der Prävalenz in der 5.–7. Lebensdekade

Prognose

  • Ohne Behandlung nimmt die Störung in der Regel einen chronischen Verlauf.
  • Faktoren, die die Prognose negativ beeinflussen:
  • Eine spontane und nachhaltige Besserung ist selten.

Verlaufskontrolle

  • Ein systematische Verlaufskontrolle ist wichtig für eine erfolgreiche Behandlung.
    • klinische Untersuchung
    • Ggf. Testverfahren regelmäßig wiederholen.
    • Komorbidität einbeziehen
  • Substanzabhängigkeit vermeiden.
    • Nichtmedikamentöse Therapieoptionen ausschöpfen (s. o.).
    • Benzodiazepine nur in begründeten Ausnahmefällen (s. o.)
    • keine Opioide und andere Schmerzmittel mit Suchtpotenzial, etwa zur Behandlung begleitender somatoformer Schmerzen
    • Überwachung und Behandlung begleitender Suchterkrankungen oder -neigungen

Patienteninformationen

Patienteninformationen in Deximed

Quellen

Literatur

  1. Baldwin D, Woods R, Lawson R, Taylor D. Efficacy of drug treatments for generalised anxiety disorder: systematic review and meta-analysis. BMJ 2011; 342: d1199. BMJ (DOI)
  2. Batelaan NM, Bosman RC, Muntingh A, Scholten WD, Huijbregts KM, van Balkom A. Risk of relapse after antidepressant discontinuation in anxietydisorders, obsessive-compulsive disorder, and post-traumatic stress disorder: systematic review and meta-analysis of relapse prevention trials. BMJ. 2017; 358: 3927 PMID: 28903922 PubMed
  3. Frampton J. Pregabalin: A review of its use in adults with generalized anxiety disorder. CNS Drugs 2014; 9: 835-54. pmid:25149863 PubMed
  4. Bonnet U, Richter EL, Isbruch K, Scherbaum N. On the addictive power of gabapentinoids: a mini-review. Psychiatr Danub 2018; 30:142-9. PMID: 29930223 PubMed
  5. Whiting PF, Wolff RF, Deshpande S et al. Cannabinoids for medical use: A systematic review and meta-analysis. JAMA 2015; 313: 2456–73. PMID: 26103030 PubMed
  6. Bergamaschi MM, Queiroz RHC, Chagas MHN et al. Cannabidiol reduces the anxiety induced by simulated public speaking in treatment-nave social phobia patients. Neuropsychopharmacology 2011; 36: 1219–26. PMID: 21307846 PubMed
  7. Olthuis JV, Watt MC, Bailey K, Hayden JA, Stewart SH. Therapist-supported Internet cognitive behavioural therapy for anxiety disorders in adults. Cochrane Database of Systematic Reviews 2016; Issue 3. Art: No.: CD011565. doi:10.1002/14651858.CD011565.pub2 DOI
  8. Ravindran AV, da Silva TL. Complementary and alternative therapies as add-on to pharmacotherapy for mood and anxiety disorders: a systematic review. J Affect Disord 2013; 150: 707-19. pmid:23769610 PubMed

Autor*innen

  • Thomas M. Heim, Dr. med., Wissenschaftsjournalist, Freiburg

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