Muskelschmerzen und beschleunigte Blutsenkung bei Erwachsenen

Allgemeine Informationen

Definition

  • Gemeinsames Auftreten von:
    1. lokalisierten oder generalisierten Muskelschmerzen (Myalgien)
    2. erhöhter Blutkörperchensenkungsgeschwindigkeit (BSG).
  • Es handelt sich um ein syndromales Bild aus einem klinischen Symptom und einem Laborwert als Hinweis auf eine Vielzahl möglicher Ätiologien, nicht um eine eigenständige Erkrankung.

Normwerte für die BSG

  • Bei Frauen ist die BSG etwas höher als bei Männern, bei Älteren etwas höher als bei Jüngeren.
  • Normbereiche für die BSG sind:
    • Frauen
      • < 50 Jahre: 6–20 mm/h
      • > 50 Jahre: 6–30 mm/h
    • Männer
      • < 50 Jahre: 3–10 mm/h
      • > 50 Jahre: 3–20 mm/h.

Diagnostische Überlegungen

  • Myalgien sind ein unspezifisches Symptom bei einer Vielzahl von Erkrankungen.
  • Eine BSG-Erhöhung ist ein unspezifischer Entzündungsmarker, der bei zahlreichen entzündlichen Erkrankungen, aber auch Tumoren erhöht sein kann.1
    • Die BSG ist aber nicht zum Screening von klinisch Gesunden geeignet und sollte nicht zum „Routineprogramm“ gehören.
  • Die Kombination aus Myalgie und BSG-Erhöhung kann ein erster Hinweis auf ganz unterschiedliche Grunderkrankungen sein (z. B. Polymyalgie, rheumatoide Arthritis, Infektionen, Kollagenosen, Tumoren u. a.).2
  • Die Unterscheidung der Grunderkrankungen kann schwierig sein, z. B. zwischen einer spät auftretenden rheumatoiden Arthritis und einer Riesenzellarteriitis (Polymyalgia rheumatica/Arteriitis temporalis): Schulter- und Beckengürtelbeschwerden sind häufig bei Älteren mit rheumatoider Arthritis, während transiente Arthritiden auch bei Polymyalgie auftreten können können.3
  • Zwar ist eine Riesenzellarteriitis eine nicht seltene Ursache, eine zu schnelle Diagnose ex iuvantibus nach Kortikoidgabe birgt aber die Gefahr der Überdiagnose und damit des Übersehens anderer Erkrankungen.4-5
  • Fibromyalgien sind abzugrenzen6, dies gehört primär zu den hausärztlichen Aufgaben.

Differenzialdiagnosen

  • Differenzialdiagnostisch sind vor allem die Folgenden Erkrankungen zu berücksichtigen (zu den spezifischen Krankheitsbildern siehe die entsprechenden Artikel).
  • Riesenzellarteriitis (Polymyalgia rheumatica, Arteriitis temporalis)
  • Myositiden im Rahmen immunologischer Systemerkrankungen/Overlap Syndrome
  • Idiopathische Myositiden (30 % der Fälle von DM und 15 % von PM malignomassoziiert, daher Abklärung indiziert)
    • Dermatomyositis (DM)
    • Anti-Synthetase-Syndrom (ASyS)
    • Polymyositis (PM), Myalgien in ca. 50 %
    • immunvermittelte nekrotisierende Myopathie (IMNM)
    • Einschlusskörpermyositis (IBM), meist ohne Myalgie
  • Erregerbedingte Myositis
    • viral
      • viral nekrotisierende Myopathie vorwiegend bei Kindern mit guter Prognose
      • Bornholm-Erkrankung (Coxsackie B5)
    • bakteriell
      • meist Staphylokokken (sehr schmerzhaft)
      • Borrelienmyositis 
    • parasitär (z. B. Trichinose)
    • mykotisch
  • Sonstige inflammatorische Myositiden, u. a.:
    • eosinophile Myositis
    • fokale Myositis
    • granulomatöse Myositis (z. B. bei Sarkoidose).

ICPC-2

  • L99 Andere Muskeloskelet. Erkrankung
  • B99 Blut-/Lymph-/Milzerkrankung, andere

ICD-10

  • R29.8 Sonstige und nicht näher bezeichnete Symptome, die das Nervensystem und das Skelettsystem betreffen.
  • R52 Schmerz, anderenorts nicht klassifiziert
  • R70.0 Beschleunigte Blutkörperchensenkungsreaktion

Anamnese

  • Alter
    • Beginn einer Riesenzellarteriitis im Allgemeinen bei Patient*innen > 50 Jahre (in 50 % der Fälle mit einer Polymyalgia rheumatica assoziiert)
  • Allgemeinsymptome
    • Fieber, Leistungsminderung, B-Symptomatik
  • Neuartige Kopfschmerzen
    • möglicher Hinweis auf Riesenzellarteriitis
  • Muskelschmerzen/evtl. Muskelschwäche
    • Lokalisation, Verteilungsmuster
    • Ausprägung
    • Häufigkeit, zeitlicher Verlauf
  • Gelenkschmerzen, -schwellung
  • Hautveränderungen

Klinische Untersuchung

  • Kopf
    • Tastbare A. temporalis?
  • Muskulatur
    • Druckschmerzhaft? Verminderter Kraftgrad? Symmetrisch/asymmetrisch? Betonung einer Region (proximal/distal)?
  • Gelenke
    • Arthritiszeichen? (Schwellung, Rötung, Druckschmerz, Funktionseinschränkung)
  • Haut
    • Erytheme?
  • Hinweise für sonstige Organbeteiligungen?

Ergänzende Untersuchungen

In der Hausarztpraxis

Labor

Bei Spezialist*innen

Labor

  • Ergänzendes Speziallabor in Abhängigkeit von einer vermuteten Grunderkrankung, z. B.:
    • Myositis-Autoantikörper
    • ANA (Kollagenosen)
    • ANCA (Vaskulitiden)
    • Serologie auf Viren
    • u. a.

Elektromyografie

  • Bei V. a. primäre Myositis/Myopathie

Muskelbiopsie

  • Keine Routineuntersuchung, nur bei ausreichender Evidenz für eine primäre Myositis/Myopathie
    • Primär extramuskuläre Ursachen sollten ausgeschlossen sein.

Biopsie A. temporalis

Hautbiopsie

  • Evtl. bei V. a. Dermatomyositis

Maßnahmen und Empfehlungen

Indikationen zur Überweisung

  • Bei hausärztlich gesicherter rheumatoider Arthritis und therapeutischer Erfahrung ist eine Überweisung nicht unbedingt erforderlich.
  • Ansonsten Diagnosestellung/Therapieeinleitung in Zusammenarbeit mit Spezialist*innen (v. a. Rheumatologie, Neurologie, Dermatologie)
  • Bei dringendem klinischem V. a. Riesenzellarteriitis mit Arteriitis temporalis Einleitung einer hochdosierten Glukokortikoidtherapie vor Überweisung (Vermeidung von Sehverlust)

Quellen

 Literatur

  1. Bitik B, Mercan R, Tufan A, et al. Differential diagnosis of elevated erythrocyte sedimentation rate and C-reactive protein levels: a rheumatology perspective. Eur J Rheumatol. 2015 Dec; 2(4): 131–134 . www.ncbi.nlm.nih.gov
  2. Haga H, Johnsen V, Ostensen M, et al. Myalgia and high sedimentation rate in adults. Tidsskr Nor Laegeforen 2000; 120: 3405-3408. pmid:11187194 PubMed
  3. Pease CT, Haugeberg G, Morgan AW, et al. Diagnosing late onset rheumatoid arthritis, polymyalgia rheumatica, and temporal arteritis in patients presenting with polymyalgic symptoms. A prospective longterm evaluation. J Rheumatol 2005; 32:1043. PubMed
  4. Soubrier M, Dubost J, Ristori J. Polymyalgia rheumatica: diagnosis and treatment. Joint Bone Spine 2006; 73: 599-605. doi:10.1016/j.jbspin.2006.09.005 DOI
  5. Milchert M, Brzosko M. Diagnosis of polymyalgia rheumatica usually means a favourable outcome for your patient. Indian J Med Res 2017; 145: 593-600. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
  6. Cheema R, Chang-Miller A, Aslam F. Myalgia with Elevated Inflammatory Markers in an Obese Young Female: Fibromyalgia or Polymyalgia Rheumatica? Am J Case Rep 2019; 20: 659-663. doi:10.12659/AJCR.915564 DOI
  7. Rakieh C, Nam JL, Hunt L, et al. Predicting the development of clinical arthritis in anti-CCP positive individuals with non-specific musculoskeletal symptoms: a prospective observational cohort study. Ann Rheum Dis. 2014 Apr 12. www.ncbi.nlm.nih.gov

Autor*innen

  • Michael Handke, Prof. Dr. med., Facharzt für Innere Medizin, Kardiologie und Intensivmedizin, Freiburg i. Br.

Link lists

Authors

Previous authors

Updates

Gallery

Snomed

Click to edit