Cannabisabhängigkeit

Allgemeine Informationen

Definition

Cannabis und Cannabinoide

  • Cannabis ist ein Überbegriff für Produkte aus der Hanfpflanze Cannabis sativa; die häufigsten für den nichtmedizinischen Gebrauch verwendeten Darreichungsformen sind Harz (Haschisch), getrocknete Cannabisblätter (Marihuana) und Cannabisöl.
  • Als Cannabinoide bezeichnet man Wirkstoffe, deren pharmakodynamische Wirkung über eine Aktivität an Cannabinoidrezeptoren vermittelt wird. Man unterscheidet dabei folgende Kategorien:
    • aus der Cannabispflanze gewonnen
    • synthetische Wirkstoffe, die mit den pflanzlichen Cannabinoiden chemisch identisch sind
    • synthetische Wirkstoffe, deren chemische Struktur auf den pflanzlichen Cannabinoiden basiert, jedoch mehr oder weniger stark modifiziert ist

Medizinische Anwendung von Cannabis und Cannabinoiden

Cannabinoidabhängigkeitssyndrom – Definition nach ICD-10

  • Eine Gruppe von Verhaltens-, kognitiven und körperlichen Phänomenen, die sich nach wiederholtem Cannabinoidgebrauch entwickeln.
  • Typischerweise bestehen:
    • ein starker Wunsch, die Droge einzunehmen
    • Schwierigkeiten, den Konsum zu kontrollieren
    • anhaltender Substanzgebrauch trotz schädlicher Folgen
  • Dem Substanzgebrauch wird Vorrang vor anderen Aktivitäten und Verpflichtungen gegeben.
  • Es entwickelt sich eine Toleranzerhöhung und manchmal ein körperliches Entzugssyndrom.
  • Das Abhängigkeitssyndrom kann sich auf einen einzelnen Stoff beziehen (z. B. Haschisch), auf eine Substanzgruppe (z. B. pflanzliche und synthetische Cannabinoide) oder auch auf ein weites Spektrum pharmakologisch unterschiedlicher Substanzen.

Störung durch Cannabiskonsum (Cannabiskonsumstörung) – Definition nach DSM-5

  • Mit der letzten Revision des DSM im Jahr 2013 wurde die Trennung zwischen Substanzabhängigkeit und -missbrauch aufgehoben.
  • Der DSM-5 spricht nun übergreifend von „Störung durch Cannabiskonsum (Cannabiskonsumstörung)“, definiert durch folgende Merkmale (gekürzt):
    • Ein problematisches Muster von Cannabiskonsum führt in klinisch bedeutsamer Weise zu Beeinträchtigungen oder Leiden, wobei mindestens zwei der folgenden Kriterien innerhalb eines Zeitraums von 12 Monaten vorliegen:
      1. Cannabis wird häufig in größeren Mengen oder länger als beabsichtigt konsumiert.
      2. Anhaltender Wunsch oder erfolglose Versuche, den Cannabiskonsum zu verringern oder zu kontrollieren.
      3. Hoher Zeitaufwand, um Cannabis zu beschaffen, zu konsumieren oder sich von seiner Wirkung zu erholen.
      4. Craving oder ein starkes Verlangen, Cannabis zu konsumieren.
      5. Wiederholter Cannabiskonsum, der zu einem Versagen bei der Erfüllung wichtiger Verpflichtungen bei der Arbeit, in der Schule oder zu Hause führt.
      6. Fortgesetzter Cannabiskonsum trotz ständiger oder wiederholter sozialer oder zwischenmenschlicher Probleme, die durch die Auswirkungen von Cannabis verursacht oder verstärkt werden.
      7. Wichtige soziale, berufliche oder Freizeitaktivitäten werden aufgrund des Cannabiskonsums aufgegeben oder eingeschränkt.
      8. Wiederholter Cannabiskonsum in Situationen, in denen der Konsum zu einer körperlichen Gefährdung führt.
      9. Fortgesetzter Cannabiskonsum trotz Kenntnis eines anhaltenden oder wiederkehrenden körperlichen oder psychischen Problems, das wahrscheinlich durch Cannabis verursacht wurde oder verstärkt wird.
      10. Toleranzentwicklung, definiert durch eines der folgenden Kriterien:
        • a. Verlangen nach ausgeprägter Dosissteigerung, um einen Intoxikationszustand oder einen erwünschten Effekt herbeizuführen.
        • b. Deutlich verminderte Wirkung bei fortgesetztem Konsum der selben Menge an Cannabis.
      11. Entzugssymptome, die sich durch eines der folgenden Kriterien äußern:
        • a. Charakteristisches Entzugssyndrom in Bezug auf Cannabis (..)
        • b. Cannabis (..) wird konsumiert, um Entzugssymptome zu lindern oder zu vermeiden.
  • Spezifizierung der Erkrankungsschwere
    • 2–3 Kriterien erfüllt: leicht
    • 4–5 Kriterien erfüllt: mittel
    • ≥ 6 Kriterien erfüllt: schwer

Häufigkeit

  • Cannabis ist weltweit die am häufigsten konsumierte nicht legale Droge.1-2
  • Männliche Personen konsumieren etwas häufiger als weibliche.
  • Bei Jugendlichen:
    • In der Altersgruppe der 15- bis 18Jährigen geben ca. 25 % an, mindestens einmal in ihrem Leben Cannabis konsumiert zu haben.
      • Beim Alkoholkonsum liegr der Anteil bei 65 %.
  • Bei Erwachsenen:
    • Etwa 35 % der Erwachsenen geben an, jemals Cannabis konsumiert zu haben.
    • Die Häufigkeit einer cannabisbezogenen Störung (Missbrauch oder Abhängigkeit) wird auf etwa 1 % der Erwachsenen geschätzt.
  • Cannabis–Konsum ist auch ohne Legalisierung in den meisten Ländern relativ weit verbreitet und die Droge leicht zugänglich.
  • Cannabis im Straßenverkehr
    • Laut DRUID-Studie beträgt die Prävalenz von Cannabis bei allen Autofahrenden 1,3 % (Alkohol 3,5 %).3

Gebrauch als Rauschmittel

  • Die Motivation für den Konsum ist es, ein Rauscherlebnis zu erreichen, das von Sedierung und Entspannung geprägt ist. Insbesondere bei höheren THC-Dosierungen können euphorisierende und halluzinogene Effekte hinzukommen.
  • Rauchen ist die gängigste Art, Cannabis zu konsumieren.
    • Es wird in Zigarettenpapier gerollt, evtl. zusammen mit Tabak, und inhaliert (Joint).
    • Haschischrauch hat einen charakteristischen süßlichen Geruch.
  • Varianten der Inhalation
    • Pfeife
    • Wasserpfeife (Bong)
    • Vaporisator
  • Cannabisprodukte können auch oral zugeführt werden.
    • z. B. als Haschisch- oder Marihuana-haltiges Gebäck 
    • Beim Verzehr von Cannabis ist es aufgrund der individuellen Absorption und der unterschiedlichen Konzentration der aktiven Substanzen schwierig, die Wirkung vorauszusehen.
    • Außerdem kann es zur Bildung aktiver Metaboliten kommen, die das Risiko eines ungewollt länger anhaltenden Rauschs mit sich bringen.

Gebrauch zur Selbstmedikation

  • Einige Studien zeigten einen Zusammenhang zwischen psychischen Störungen, wie PTBS, und Cannabis–Konsum als eine Art Selbstmedikation, z. B. zur Linderung von Schlafstörungen, Angstgefühlen oder Depressionen4
    • Die Studienlage zu positiven und negativen Effekten ist uneinheitlich5
    • Gerade junge Erwachsene, die Cannabis zur Selbstmedikation nutzen, haben ein höheres Risiko, eine Abhängigkeit zu entwickeln4

Darreichungsformen

  • Marihuana
    • Besteht in der Regel aus den getrockneten Blättern der obersten Triebe oder den Blütenständen der Pflanze.
    • Es kann auch Pflanzenstengel und Samen enthalten.
    • Die Farbe ist braun oder grünlich.
  • Haschisch
    • Ist Cannabisharz, das mit Pflanzenfasern vermischt ist. Es wird extrahiert und danach zu Platten oder Klumpen gepresst.
    • Die Farbe variiert von hellbraun oder grün bis fast schwarz.
  • Cannabisöl, -extrakt
    • Ist eine konzentriertere Form von Cannabis, bei der die fettlöslichen Inhaltsstoffe der Pflanze, u. a. auch THC, mithilfe eines Lösungsmittels extrahiert und danach zu einer ölähnlichen Paste eingedampft wird, die als Grundlage für mehr oder weniger stark verdünnte ölige Zubereitungen dient.
    • Nicht zu verwechseln mit Cannabidiol(CBD)-Öl, das kein THC enthält. Näheres dazu im Artikel Cannabinoid-haltige Arzneimittel.

Wirkstoffe

  • Cannabis enthält eine Vielzahl biologisch wirksamer Substanzen.
    • Tetrahydrocannabinol (THC) ist die wichtigste psychoaktive Substanz.
    • THC bindet an spezifische Rezeptoren im Gehirn (CB1-Rezeptoren) und an periphere Rezeptoren (CB2-Rezeptoren).
    • Die Aktivierung dieser Rezeptoren kann die Stimmung, das Gedächtnis, das kognitive Vermögen, den Schlaf und den Appetit beeinflussen.
  • Einige der neueren Varianten (z. B. Skunk) können höhere THC-Konzentrationen enthalten als die traditionellen Sorten.
    • Höhere Konzentrationen scheinen mit einem erhöhten Überdosierungs- und Abhängigkeitsrisiko einherzugehen.

Synthetische Cannabinoide

Cannabisrausch

  • Beim Rauchen oder der Inhalation mittels Vaporisator stellt sich der Effekt schnell ein, wobei die maximale Wirkung nach 20–30 Minuten erreicht ist.
  • Unterschiedliche Effekte sind möglich:
    • Sedierung, Euphorie, Entspannung
    • Schlafanstoßende Wirkung
    • gerötete Augen
    • trockener Mund
    • erhöhter Puls
    • erhöhter Appetit
    • Schwindel
    • Abnahme des Reaktions– und Konzentrationsvermögens (bis zu 24 Stunden)
    • Gedächtnisstörungen
    • verringerte Schmerzwahrnehmung
    • Veränderung der Sinneseindrücke (z.B. verstärkte Geräuschwahrnehmung)
    • Depressionen, Halluzinationen, Panikattacken, Psychosen
    • veränderte Zeitwahrnehmung
  • Bei fortgesetzter Einnahme kann dieser Zustand über lange Zeit aufrecht erhalten werden.
  • Bei vereinzelter Einnahme klingt der Rausch meist nach 2–5 Stunden ab.
  • Sowohl die gewünschte Wirkung als auch die unerwünschten Nebeneffekte können sich durch die gleichzeitige Einnahme anderer Narkotika oder von Alkohol verändern oder verstärken.
  • Das Rauscherleben wird durch individuelle somatische, psychische und kognitive Faktoren beeinflusst.
    • Unterschiedliche Konzentrationen und unterschiedliche Dosen können ebenfalls unterschiedliche Rauschzustände hervorrufen.
  • Eine akute Intoxikation ist möglich. Todesfälle sind sehr selten und stehen eher in Zusammenhang mit synthetischen Cannabinoiden

Entzugssyndrom6

  • Lange war die falsche Annahme verbreitet, der Konsum von Cannabinoiden gehe grundsätzlich nicht mit körperlicher Abhängigkeit und Entzugssymptomen einher.
  • Ein Entzugssyndrom kann innerhalb von 24–48 Stunden nach Konsum der Droge auftreten.
    • Beispiele für psychische Entzugssymptome:
    • Beispiele für vegetative Entzugssymptome:
      • Schmerzen
      • Zittern
      • Schwitzen
      • erhöhte Körpertemperatur
      • Kälteschauer, Schüttelfrost
  • Die Symptome sind in der ersten Woche nach Drogenkonsum am stärksten und können bis zu einem Monat lang anhalten.
  • Mit schwerwiegenden Folgen eines Cannabisentzugssyndroms ist im Normalfall nicht zu rechnen, es sollte allerdings ausgeschlossen sein, dass neben Cannabis weitere Drogen konsumiert wurden

Konsultationsgrund

  • Von den Personen, die sich aufgrund ihrer Drogensucht ärztliche Hilfe aufsuchen, gibt nur ein kleiner Teil Cannabis als ihr Hauptproblem an.
    • In England beträgt der Anteil 6 %.7
  • Das durchschnittliche Alter bei Behandlungsbeginn liegt bei etwa 25 Jahren, die Mehrheit der Behandlungssuchenden sind Männer.
  • Mögliche Präsentationssymptome in der Praxis8

Prädisponierende Faktoren für die Entwicklung einer Abhängigkeit

  • Konsum in jungem Alter
  • Häufiger Konsum
  • Konsum anderer Suchtmittel (insbesondere Tabak)
  • Psychische Erkrankung vor Beginn des Cannabiskonsums
  • Männliches Geschlecht

ICD-10

  • F12.1 Schädlicher Gebrauch von Cannabinoiden
  • F12.2 Abhängigkeitssyndrom, Cannabinoide
  • F12.3 Entzugssyndrom, Cannabinoide

Diagnostik

Diagnostische Kriterien

Differenzialdiagnosen

Anamnese

  • Aktive Befragung im Hinblick auf Tabak, Alkohol, Medikamente und Drogen
  • Konzentrationsprobleme oder psychische Probleme sind möglich
  • Atemwegsbeschwerden
  • Bestanden Symptome wie Schlafstörungen oder depressive Verstimmungen bereits vor dem Konsum?
  • Bestehen private Stressoren, die die Betroffenen durch ihren Konsum zu behandeln versuchen?
  • Was sind die persönlichen Beweggründe für den Konsum?

Relevante Fragen in Bezug auf die Abhängigkeit

  • Ggf. können spezifische Tools wie die Severity of Dependence Scale hilfreich sein9
  • Wie viele Dosen (z.B. Joints) konsumieren Sie am Tag?
  • Hat sich ihr Bedarf erhöht?
  • Wie viele Tage pro Woche oder pro Monat konsumieren Sie Cannabis?
  • Strecken Sie mit Tabak? Rauchen Sie auch Zigaretten?
  • Bringt Ihr Cannabiskonsum Probleme wie Angst, verändertes Schlafmuster oder veränderten Appetit, evtl. Husten mit sich?
  • Führt der Cannabiskonsum dazu, dass Sie manchmal nicht das tun, was Sie tun möchten oder sollten, z. B. im Hinblick auf Schule, Studium oder Ihre Arbeit?
  • Haben Sie schon einmal versucht, Ihren Cannabiskonsum zu beenden oder zu reduzieren?
    • Wie ging es Ihnen daraufhin?
    • Wirkte sich das auf den Schlaf aus?
    • Waren Sie gereizt oder erlebten Sie Stimmungsschwankungen?

Klinische Untersuchung

  • Während des Rauschs
    • konjunktivale Injektion
    • Tachykardie
    • Mundtrockenheit
    • entspannt, gleichgültig, emotional instabil
  • Zeichen einer akuten Intoxikation können vielfältig sein10
    • Euphorie und Enthemmung
    • Angst und Agitiertheit
    • paranoide Gedanken
    • Verändertes Zeiterleben
    • Einschränkungen der Urteilsfähigkeit, der Konzentration und des Reaktionsvermögens
    • Halluzinationen
    • Derealisation
    • Depersonalisation
    • beeinträchtige Leistungsfähigkeit
    • Übelkeit, Erbrechen, Schwindel
  • Unabhängig vom Rausch
    • ggf. psychische oder Persönlichkeitsveränderungen
    • Konzentrationsprobleme und Beeinträchtigung des Kurzzeitgedächtnisses
    • Schlafprobleme

Ergänzende Untersuchungen in der Hausarztpraxis

  • THC kann nach Einnahme einer einzelnen Dosis im Blut ca. 1/2 Tag nachgewiesen werden.
  • THC-Zersetzungsprodukte können im Urin mehrere Tage nachgewiesen werden.
  • Bei regelmäßigem Gebrauch kann THC im Urin mehrere Wochen bis Monate nach dem letzten Konsum nachgewiesen werden.
  • Ggf. sollte ein Mischkonsum mit anderen Drogen ausgeschlossen werden

Indikationen zur Krankenhauseinweisung

  • Einweisung zur Überwachung, falls Kinder Haschisch oder andere THC-haltige Cannabiszubereitungen konsumiert haben.
  • Die Einweisung von Erwachsenen sollte erwogen werden bei:
    • kompliziertem Intoxikationsverlauf wie
      • ausgeprägten psychischen Symptomen
      • progredienten Herz-Kreislauf-Symptomen bei Patient*innen mit bekannten Herz-Kreislauf-Erkrankungen
      • Delir
    • begleitenden psychischen Störungen
    • schwerem Entzugssyndrom und/oder schweren Folgestörungen6
    • hoher Rückfallgefährdung.
  • Nach fehlgeschlagener ambulanter Behandlung: Einweisung in eine suchtmedizinische Klinik

Therapie

Therapieziele

  • Den Cannabiskonsum reduzieren oder beenden.

Therapiestruktur

Akuttherapie

  • Dauer
    • bei Erwachsenen 2–4 Wochen
    • bei Jugendlichen 4–12 Wochen
  • Elemente
    • körperliche Entgiftung
    • Diagnostik
    • Behandlung von Entzugssymptomen
    • ggf. Therapie komorbider psychischer Störungen
  • Wenn der Behandlungswille und das psychosoziale Funktionsniveau, insbesondere die Alltagsorganisation und Tagesstrukturierung der betroffenen Person, noch fehlt:
    • intensive stützende Gespräche
    • Förderung einer Tagesstruktur
    • Motivation zu einer abstinenzstabilisierenden Therapie
    • ggf. psychopharmakologische Unterstützung, in der Regel unter stationären Bedingungen (siehe Abschnitt Indikationen zur Krankenhauseinweisung)

Rehabilitative Postakutbehandlung

  • Dauer: 3–9 Monate
  • Ziele
    • Sicherung der Abstinenz
    • Rückfallprophylaxe
    • psychische, soziale und berufliche Stabilisierung
    • Therapie von Begleiterkrankungen
  • Bei Jugendlichen zusätzlich
    • pädagogische Förderung
    • schulische Wiedereingliederung
    • Unterstützung bei problematischen Familien- oder Wohnsituationen

Entgiftung8

  • Ist klinisch meist komplikationslos und im ambulanten Setting durchführbar.
  • Schrittweises Senken des Konsums vor dem endgültigen Aufhören empfehlen
  • Empfehlung, die erste Cannabiseinnahme des Tages so spät wie möglich zu legen
  • Gebrauch von Nikotinersatz vorschlagen, falls gleichzeitig eine Raucherentwöhnung stattfinden soll
  • Wichtigkeit einer guten Schlafhygiene betonen
  • Koffein spät am Tag sollte vermieden werden.
  • Empfehlen Sie Entspannungstechniken, z. B. progressive Muskelentspannung.
  • Die Betroffenen und bei deren Einverständnis evtl. auch die Angehörigen über die Symptome, Dauer und Schwere der Entzugssymptome informieren.
  • Die Betroffenen sollten Situationen oder Umstände vermeiden, die sie mit Drogenkonsum assoziieren.

Psychotherapie 

  • Ambulante Psychotherapie ist Therapie der 1. Wahl. 
    • kognitive Verhaltenstherapie am besten evaluiert

Gesprächsführung

  • Analyse der Motivation 
    • bei fehlender Motivation über die Effekte und möglichen Gesundheitsrisiken bei Cannabiskonsum informieren
  • Ausmaß der Abhängigkeit und evtl. Entzugssymptome
    • Hilfe und Unterstützung anbieten
    • Beratung im Hinblick auf den Entzug

Medikamentöse Therapie

  • Bislang ist kein Medikament zur Behandlung Cannabinoid-bezogener Störungen zugelassen.
  • Eine medikamentöse Behandlung, etwa mit Gabapentin, Benzodiazepinen oder sedierenden Antipsychotika, kommt nur bei schweren Entzugssymptomen und dann in aller Regel unter stationären Bedingungen infrage.6
  • Eine Metaanalyse kommt zu dem Schluss, dass die Wirksamkeit einer medikamentösen Behandlung nicht sicher belegt ist. Die durchgeführten Studien sind nicht sehr umfangreich und von geringer Qualität.11

Prävention

  • Über Cannabis und die Risiken des Konsums informieren.

Verlauf, Komplikationen und Prognose

Verlauf

  • Studien weisen darauf hin, dass ein früher Konsum von Cannabis bereits im Jugendalter mit einem erhöhten Risiko für eine anhaltende cannabisbezogene Störungen im weiteren Verlauf einhergeht.

Komplikationen

Psychosoziale Faktoren

  • Ein früher Konsumbeginn ist mit einem geringeren Bildungserfolg (u. a. höhere Schulabbruchquote) assoziiert
  • Ein hoher Cannabiskonsum ist mit erhöhten Fehlzeiten in der Schule und am Arbeitsplatz, einem niedrigen Ausbildungsstandund zwischenmenschlichen Konflikten assoziiert.

„Einstiegsdroge“

  • Ein generell erhöhtes Risiko für den Konsum anderer Rauschmittel einschließlich harter Drogen konnte nicht belegt werden.12
    • Nur bei frühem Konsum im Jugendalter konnte ein leicht erhöhtes Risiko festgestellt werden, aber nur, wenn zusätzlich noch andere Einflussfaktoren hinzu kommen, wie z. B. Trennung der Eltern, oder andere kritische Lebensereignisse und andere Stress erzeugenden Erfahrungen im Teenageralter.

Kognitive Defizite

  • Regelmäßiger und häufiger Cannabiskonsum kann kognitive Leistungen, insbesondere das Gedächtnis und die Aufmerksamkeit beeinträchtigen.13
    • Ungeklärt ist, ob sich das auch insgesamt auf die Intelligenz auswirkt.
    • Die kognitiven Defizite scheinen nach einer Zeit der Abstinenz reversibel zu sein. Unklar ist, über welchen Zeitraum.
    • Auch welche Rolle ein junges Einstiegsalter und geschlechtsspezifische Unterschiede dabei spielen, ist unklar.

Psychische Störungen14-18

  • Cannabiskonsum ist ein Risikofaktor für psychische Störungen.
  • Am besten untersucht ist dabei der Zusammenhang mit einem erhöhten Risiko für Psychosen und Schizophrenie insbesondere bei starkem Konsum.
    • So konnten mehrere Studien zeigen, dass regelmäßige Cannabis-Konsument*innen ein 2–4 fach erhöhtes Risiko haben, eine Psychose zu erleiden.5
    • Bei gelegentlichem Gebrauch ist das Risiko um das 1,4 bis 2–fache erhöht.
    • Ebenso zeigte sich, dass ein fortgesetzter Konsum von Cannabis den Verlauf einer bekannten psychotischen Störung negativ beeinflussen kann.5
  • Nicht immer gelingt es, festzulegen, in welcher Weise Konsum und psychiatrische Störung sich gegenseitig bedingen.10
    • Einige Studien konnten bisher zeigen, dass bei Personen mit einem problematischen Cannabis-Konsum zeitgleich nicht selten eine weitere psychiatrische Ströung, wie affektive Störungen, Angststörungen oder auch PTBS vorlagen, wobei keine Aussage zur Kausalität getroffen wurde.
  • Es scheint auch kein eindeutig höheres Risiko für Angststörungen, Depressionen oder posttraumatische Belastungsstörungen zu geben, allerdings ist hier die Studienlage uneinheitlich.
    • Es gibt Hinweise auf ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung einer bipolaren Störung
    • Ebenso zeigen einige Studien ein höheres Suizidrisiko, insbesondere bei hohem Konsum.
  • In den Staaten, in denen Cannabis bereits legalisiert wurde, konnte bisher kein signifikanter Anstieg der assoziierten Psychoserate verzeichnet werden.16
  • Eine Übersichtsarbeit berichtet zum Vergleich, dass das Risiko einer Substanz-assoziierten Psychose bei Alkoholabhängigen bei 4 % liegt.19

Somatische Erkrankungen

  • Erhöhtes Risiko für Atemwegserkrankungen wie Asthma oder COPD
    • Der regelmäßige Konsum kann vergleichbare Beschwerden verursachen wie regelmäßiger Tabakkonsum, wobei bedacht werden muss, dass oftmals ein Mischkonsum von Tabak und Cannabis vorliegen.
    • erhöhtes Risiko für Hodenkrebs
    • unklare Datenlage zu anderen Tumor- und zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen
  • Cannabis-Hyperemesis-Syndrom20
    • anhaltendes Erbrechen für Stunden, Tage oder sogar Wochen
    • bei anhaltendem exzessiven Konsum
    • Die am besten geeignete Therapie ist die Substanzabstinenz.

Schwangerschaftskomplikationen

  • Es gibt Hinweise auf ein erhöhtes Risiko für:
    • mütterliche Anämie
    • fetale Entwicklungsstörungen
    • niedriges Geburtsgewicht
    • intensivmedizinischen Versorgungbedarf des Neugeborenen
  • Die Studienlage ist hierzu allerdings heterogen.
  • Nach der Geburt: Einzelne Hinweise auf ein erhöhtes Risiko für kindliche Entwicklungsstörungen und Cannabiskonsum im Jugendalter bedürfen ebenfalls der Überprüfung in geeigneten Studien.

Todesfälle

  • Todesfälle im Rahmen von Intoxikationen sind sehr selten und stehen eher in Zusammenhang mit synthetischen Cannabinoiden.

Prognose

Abhängigkeitsrisiko

  • Das Risiko von Cannabiskonsumierenden, eine Abhängigkeit von der Droge zu entwickeln, wird auf etwa 9 % geschätzt.21
  • Andere Meta-Analysen gehen von einem höheren Risko aus (10-15 %)22
  • Es scheint im direkten Vergleich niedriger zu sein als das Abhängigkeitsrisiko bei Alkohol- oder Nikotinkonsum.21,23
  • Bei Konsumbeginn bereits im Jugendalter ist das Abhängigkeitsrisiko deutlich höher als bei späteren Beginn. 

Verlaufskontrolle

  • Regelmäßige Kontrolluntersuchungen bei den Personen, die ihren Konsum beenden möchten, werden als hilfreich eingeschätzt.
  • Kontrollieren Sie:
    • die Motivation
    • den psychischen Gesundheitszustand
    • evtl. Urindrogentest, falls die Patient*innen und die Behandelnden dies als sinnvoll erachten.

Patienteninformationen

Worüber sollten Sie die Patient*innen informieren?

  • Abhängigkeitsrisiko
  • Risiko für Verschlimmerung oder Neuauftreten einer psychischen Störung
  • Auch in den drogenfreien Intervallen können kognitive Leistungen einschließlich Fahrtauglichkeit über einen längeren und im Einzelfall schwer vorhersagbaren Zeitraum beeinträchtigt sein.
    • Das Unfallrisiko ist deutlich erhöht

Patienteninformationen in Deximed

Quellen

Literatur

  1. EMCDDA. European Drug Report 2023: Cannabis. The current Situation in Europe www.emcdda.europa.eu
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Autoren

  • Bonnie Stahn, Dr. med., Fachärztin für Allgemeinmedizin, Hamburg
  • Thomas M. Heim, Dr. med., Wissenschaftsjournalist, Freiburg



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