Substitution ist die Anwendung eines ärztlich verschriebenen Betäubungsmittels, bei einem opioidabhängigen Patienten im Rahmen eines Therapiekonzeptes zur medizinischen Behandlung einer Abhängigkeit, die durch den Missbrauch von Opioiden begründet ist.
Im Rahmen der ärztlichen Therapie soll eine Opioidabstinenz des Patienten angestrebt werden.
Abhängigkeit, Abhängigkeitssyndrom
Als Opioidabhängigkeitssyndrom (ICD-10 F11.2) bezeichnet man eine Gruppe von Verhaltens-, kognitiven und körperlichen Phänomenen, die sich nach wiederholtem Opioidgebrauch entwickeln.
Typischerweise bestehen:
ein starker Wunsch, sich Opioide zuzuführen.
Schwierigkeiten, den Konsum zu kontrollieren.
anhaltender Gebrauch trotz schädlicher Folgen.
Dem Opioidgebrauch wird Vorrang vor anderen Aktivitäten und Verpflichtungen gegeben.
Es entwickelt sich eine Toleranzerhöhung und manchmal ein körperliches Entzugssyndrom.
Das Abhängigkeitssyndrom kann sich auf ein einzelnes Opioid beziehen, auf Opioide an sich oder auch auf ein weites Spektrum unterschiedlicher Substanzen.
Alle Opioidrezeptor-Agonisten, d. h. Liganden, die an Opioidrezeptoren binden und dort aktivierend wirken.
Die pharmakologische Wirkung sowohl der therapeutisch eingesetzten als auch der als Rauschdrogen verwendeten Opioide wird im Wesentlichen über den überwiegend präsynaptisch exprimierten µ1-Rezeptor vermittelt.
Bei den Opioiden unterscheidet man:
pflanzliche
synthetische
körpereigene (Enkephaline und Endorphine).
Opiate
im engeren Sinn: aus Schlafmohn gewonnene, am Opioidrezeptor agonistisch wirkende Alkaloide
im weiteren Sinn: alle Opioide, einschließlich der als Medikamente eingesetzten Opioidrezeptor-Agonisten
Ziele
Wesentliche Ziele der Opioidsubstitution sind:
Sicherstellung des Überlebens
Besserung und Stabilisierung des Gesundheitszustandes
Abstinenz von unerlaubt erworbenen oder erlangten Opioiden
Unterstützung der Behandlung von Begleiterkrankungen
Verringerung der durch die Opioidabhängigkeit bedingten Risiken während einer Schwangerschaft sowie während und nach der Geburt.
Indikation
Vorliegen einer Opioidabhängigkeit nach ICD-10 (s. o.)
Wenn eine andere strukturierte Therapie der Opioidabhängigkeit scheitert oder nicht durchführbar ist:
qualifizierte Entzugsbehandlung
Entwöhnung und nachhaltige Abstinenz
Substitution im Rahmen der Entgiftung ist für viele Patienten eine wichtige Hilfe, um überhaupt eine anderweitig notwendige Behandlung zu beginnen, eine Anbindung an das Suchthilfesystem zu finden und aus dem verhängnisvollen Kreislauf aus Sucht und Beschaffungskriminalität herauszukommen.1
Beispiele für Situationen, in denen eine klassische abstinenzorientierte Entwöhnungtherapie nicht ohne Weiteres möglich ist:
nach mehreren erfolglosen Therapieversuchen
bei Begleiterkrankungen
wenn die Motivation der betroffenen Person, ihr Leben zu ändern und sich in Therapie zu begeben, noch nicht ausreicht
wenn die betroffene Person „unabkömmlich“ ist, etwa als alleinerziehendes Elternteil, oder weil sonst der Verlust des Arbeitsplatzes droht
Wirksamkeitsnachweis und Erstattung
Am besten durch klinische Studien belegt ist der Nutzen der Substitutionstherapie mit Methadon oder Buprenorphin als unterstützende Behandlung beim Absetzen von Opioiden im Rahmen eines therapeutischen Konzepts.2-3
Die Substitutionsbehandlung wird von den gesetzlichen Krankenkassen erstattet.
ICD-10
F11.- Psychische und Verhaltensstörungen durch Opioide
F11.2 Abhängigkeitssyndrom
Maßnahmen und Empfehlungen
Durchführung
Substitutionsmittel
Methadon (ca. 40 % der Substitutionspatienten)
Levomethadon (ca. 35 %)
Buprenorphin (ca. 20 %)
selten:
Morphin
Diamorphin
Codein
Dihydrocodein
Applikationsform und -frequenz
Üblicherweise oral und täglich, Einnahme unter Aufsicht
Inzwischen ist ein erstes Depot-Buprenorphin zugelassen.
Damit kann die Gabe des Substitutionsmittels über wöchentliche bis monatliche s. c. Injektionen erfolgen.
Dauer der Substitution
Die optimale Dauer ist unklar.
Mit einer 12-wöchigen Substitution scheinen höhere Abstinenzraten erreicht zu werden als mit einer 4-wöchigen. Allerdings ist die Rückfallrate in beiden Fällen hoch.
In der Regel ist die substitutionsgestützte Suchttherapie ein langwieriger Prozess.
Es gibt keinen vorgegebenen Zeitrahmen, innerhalb dessen die Abstinenz erreicht werden soll. Sie ist jedoch in den meisten Fällen als langfristiges Ziel anzustreben.
Unter der Entwöhnung geht die Opioidtoleranz schnell zurück – cave: Überdosis bei Rückfall!
Im bestimmten Fällen kann auch eine dauerhafte Substitution sinnvoll sein, z. B. bei schweren psychischen Begleiterkrankungen oder bei langjähriger Opioidabhängigkeit, die einer anderen Therapieform nicht zugänglich ist.
Beikonsum
Bei Opioidabhängigen aus der Drogenszene ist Beikonsum sehr verbreitetet und geht in der Regel erst im im längeren Verlauf der Substitution zurück.
Vor allem zu Beginn der Substitution stellt der Beikonsum von anderen illegalen Drogen oder Alkohol wegen potenziell lebensbedrohlichen Interaktionen mit dem Substitutionsmittel ein erhebliches Risiko dar.
Unangekündigte Urinkontrollen können für eine realistische Einschätzung und ggf. Dosisanpassung hilfreich sein.
Patientenaufklärung
Therapietreue als entscheidender Prädiktor
Die Therapietreue der abhängigen Person ist entscheidend: Je früher sie gegen Substitutionsauflagen verstößt, desto geringer die Chance, in absehbarer Zeit Abstinenz zu erreichen.4
In der Regel ist die Therapietreue von Personen, die von verschreibungsfähigen Opioiden abhängig sind, deutlich besser als die von Heroinabhängigen.5
Behandlungsvereinbarung
Behandlungsziele gemeinsam erarbeiten und in einer Behandlungsvereinbarung schriftlich dokumentieren.
Die betroffene Person ist über die geplanten Therapiemaßnahmen aufzuklären. Ihre ausdrückliche Einwilligung ist erforderlich.
Zu den Aufklärungsinhalten zählen u. a.:
gewähltes Substitutionsmittel und die damit einhergehenden potenziellen Risiken, Neben- und Wechselwirkungen
Amato L, Minozzi S, Davoli M, Vecchi S. Psychosocial and pharmacological treatments versus pharmacological treatments for opioid detoxification. Cochrane Database of Systematic Reviews 2011, Issue 9. Art. No.: CD005031. DOI: 10.1002/14651858.CD005031.pub4. The Cochrane Library
Amato L, Davoli M, Minozzi S, Ferroni E, Ali R, Ferri M. Methadone at tapered doses for the management of opioid withdrawal. Cochrane Database of Systematic Reviews 2013, Issue 2. Art. No.: CD003409. DOI: 10.1002/14651858.CD003409.pub4. The Cochrane Library
Gowing L, Ali R, White JM. Buprenorphine for the management of opioid withdrawal. Cochrane Database of Systematic Reviews 2009, Issue 3. Art. No.: CD002025. DOI: 10.1002/14651858.CD002025.pub4. The Cochrane Library
McDermott KA, Griffin ML, Connery HS et al. Initial response as a predictor of 12-week buprenorphine-naloxone treatment response in a prescription opioid-dependent population. J Clin Psychiatry 2015; 76: 189-94. PMID: 25562462 PubMed
Moore BA, Fiellin DA, Barry DT et al. Primary care office-based buprenorphine treatment: comparison of heroin and prescription opioid dependent patients. J Gen Intern Med 2007; 22(4): 527-30. PMID: 17372805 PubMed
Autoren
Thomas M. Heim, Dr. med., Wissenschaftsjournalist, Freiburg