Alkoholmissbrauch, Folgeerkrankungen

Allgemeine Informationen

Häufigkeit

  • Die Häufigkeit der Alkoholabhängigkeit wird auf ca. 4 % bei Männern und 1–2 % bei Frauen geschätzt.
  • Etwa jede 10. Konsultation in der Hausarztpraxis hat mit Alkohol zu tun.
  • Alkoholbedingte Todesfälle machen etwa 10 % der Gesamtmortalität aus. 
    • In der Altersgruppe zwischen 15 und 25 Jahren ist Alkoholintoxikation die häufigste Todesursache.
  • Chronischer Alkoholmissbrauch verkürzt die Lebenserwartung um durchschnittlich 23 Jahre.
  • Die jährlichen durch alkoholbedingte Morbidität und Mortalität verursachten Kosten in Europa werden auf 350 Mrd. Euro geschätzt.1

Ätiologie und Pathogenese

  • Der aufgenommene Alkohol verteilt sich gleichmäßig im gesamten Körperwasser und kann somit in allen Organen mehr oder weniger große Schäden anrichten.
  • Bei Frauen steigt der Blutalkoholspiegel durch den Konsum einer bestimmten Menge Alkohol schneller an als bei Männern mit demselben Körpergewicht.
  • Die letale Dosis bei Menschen mit durchschnittlicher Äthanoltoleranz liegt bei etwa 4 Promille. Dies entspricht bei Erwachsenen einem Konsum von ungefähr 0,7 l Schnaps (45 %) innerhalb 1 Stunde.
    • Bei Personen, die bereits seit Längerem alkoholabhängig sind, ist die tödliche Dosis häufig geringer, z. B. aufgrund eines schlechten Allgemeinzustands oder einer Kardiomyopathie.

Diagnostik und Therapie

  • Weitere Informationen zur Therapie finden Sie in den Artikeln zu den genannten Krankheitsbildern.

Neuropsychiatrische Folgeerkrankungen

  • Psychische Störungen s. u.

Alkoholentzugsdelir

  • Potenziell lebensbedrohliche Komplikationen des Alkoholentzugssyndroms
    • tritt nach besonders langem und schwerem Alkoholmissbrauch auf
    • meist 2–4 Tage nach dem letzten Konsum
  • Häufigkeit: etwa 5 % aller alkoholabhängigen Patient*innen
  • Symptome
    • Bewusstseinsstörungen
    • kognitive Defizite
    • Je nach Verlaufsform dominieren:
      • psychomotorische Störungen
      • halluzinatorisch-psychotische Symptome
      • neurovegetative Symptome
  • Näheres zur Diagnostik und Therapie siehe Artikel Alkoholdelir (Delirium tremens).

Korsakow-Syndrom/Wernicke-Enzephalopathie

  • Gestörtes Kurz- und Langzeitgedächtnis – häufig mit:
    • Störungen der Zeitwahrnehmung
    • Konfabulationen: Erinnerungslücken werden mit phantasierten Ereignissen gefüllt.
  • Ursache: Thiaminmangel 
    • Wird Thiamin zugeführt, tritt innerhalb von 6–8 Wochen eine Besserung ein, es können jedoch dauerhafte Schäden zurückbleiben.
  • Differenzialdiagnose: Alkoholentzugsdelir mit Verwirrtheit (s. o.)

Psychotische Störung (Alkoholhalluzinose)

  • Definition
    • Psychotische Symptome, die während oder nach dem Trinken auftreten, aber nicht durch eine akute Intoxikation erklärt werden können und auch nicht Teil eines Entzugssyndroms sind.
    • Es wird zwischen der akuten und der chronischen Alkoholhalluzinose unterschieden.
    • Sie ist nur bei chronischer Alkoholabhängigkeit zu beobachten.
  • Meist tritt sie in Phasen auf, in denen kein Alkohol konsumiert wird (6–8 Stunden nach Ende des Alkoholkonsums).
  • Häufig akustische Halluzinationen, z. B. bedrohliche Stimmen
  • Wahnvorstellungen, häufig Eifersuchtswahn
    • vermutlich begünstigen passive, abhängige Persönlichkeitseigenschaften diese Störung
    • Gestörtes Selbstwertgefühl aufgrund alkoholbedingter sexueller Funktionsstörungen kann eine Rolle spielen.
    • schwere Belastung der Paarbeziehung mit hoher Trennungsrate
  • Therapie
    • Neuroleptika in üblichen antipsychotischen Dosen
    • Thiamin (s. o.)
    • Alkoholabstinenz
    • psychosoziale Interventionen, z. B. Paartherapie bei Eifersuchtswahn
  • Über die Pathomechanismen und die Wirkmechanismen der Behandlung ist nur wenig bekannt.
  • Differenzialdiagnosen
  • Aus der Halluzinose kann sich eine paranoide Schizophrenie entwickeln. 

Alkoholdemenz

  • Pathomechanismen
    • toxische Effekte des Alkohols
    • chronischer Vitamin-B1-Mangel
  • Stellt das Endstadium des chronischen Alkoholismus dar.
  • Die Patient*innen kümmern sich nach und nach immer weniger um andere, sind vorrangig mit ihren eigenen Bedürfnissen beschäftigt und geben schließlich auch immer weniger Acht auf sich selbst.
  • Es entwickelt sich ein Zustand der Apathie, der in ähnlicher Weise auch bei anderen Demenzerkrankungen auftreten kann.
  • Das Fortschreiten der Demenz kann verhindert, die bereits eingetretene Demenz jedoch nicht rückgängig gemacht werden.
  • Die Behandlung besteht primär in Alkoholabstinenz und Vitamin-B1-Substitution (s. o.).
    • Weiteres zur Behandlung von Demenzerkrankungen siehe Artikel Demenzsymptome.

Neuropathien

  • Polyneuropathien und Muskelatrophie
  • Radialisparese („Parkbanklähmung“) und andere Kompressionsneuropathien

Internistische Folgeerkrankungen

Leberschädigung

Gastrointestinale Erkrankungen2

  • Gastroösophagealer Reflux
    • Pathophysiologie
      • Alkohol relaxiert den unteren Ösophagus-Schließmuskel.
      • Alkohol hemmt die Ösophagusmotilität.
      • Dies ist ein Effekt der erhöhten Alkoholkonzentration im Blut, d. h. kein lokaler Effekt.
      • Er kann bereits bei einzelnen Episoden mit Alkoholkonsum auftreten.
  • Ösophagusvarizen s. o.
  • Gastritis und gastroduodenale Ulzera
    • bereits durch geringe Alkoholmengen
      • erhöhte Magensäuresekretion
      • lokale Schleimhautirritationen
      • Veränderung der Magenmotilität
  • Diarrhö
    • Langfristiger und hoher Alkoholkonsum kann die Dünndarmmukosa schädigen und Symptome wie Diarrhö verursachen sowie die Aufnahme wichtiger Nährstoffe oder Medikamente beeinträchtigen.
    • Auch eine vereinzelte Einnahme von großen Mengen Alkohol kann eine reversible Schädigung der Mukosa verursachen.
  • Pankreas-Erkrankungen

Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems

Infektionen

  • Immunabwehr des Körpers durch Alkohol gedämpft

Aspirationspneumonie

Hämatologische Erkrankungen

Krebserkrankungen

Hautveränderungen

Sexualität und Reproduktion

  • Mögliche Folgen von chronisch erhöhtem Alkoholkonsum
    • herabgesetzte Produktion männlicher Sexualhormone
    • Erektionsstörungen
    • Fertilitätsstörungen
    • Abschwächung der sekundären Geschlechtsmerkmale

FAS (fetales Alkoholsyndrom)

  • Merkmale des FAS sind:
    • angeborene Hirnanomalien
    • Gaumenspalte
    • Nierenfehlbildungen
    • Mikrozephalie
    • veränderte Gesichtsform (glatt und langes Philtrum, dünne Oberlippe, kurze Nase, flaches Mittelgesicht, kleine Augen)
    • Tendenz zu kognitiver Entwicklungsretardierung.
  • Bei Kindern alkoholkranker Mütter treten in den ersten Wochen bis Monaten nach der Geburt Entzugssymptome auf.

Schlaf und Konzentration

  • Alkohol kann über verschiedene Mechanismen zu Schlafstörungen beitragen.,2
  • Alkohol hat sowohl einen sedierenden als auch einen stimulierenden Effekt.
    • Die Sedierung tritt in der Regel ein, wenn die Alkoholkonzentration im Blut abnimmt.
  • Alkohol – bereits in mäßigen Mengen – kann die Schlafqualität beeinträchtigen.
    • REM-Schlaf-Suppression
    • Schlafrhythmusstörungen
      • nachdem der Alkohol im Blut abgebaut wurde: Durchschlafstörungen in der zweiten Nachthälfte
    • Verschlimmerung eines Schlafapnoe-Syndroms
    • Bereits nach einem geringen bis mäßigen Alkoholkonsum können am Folgetag die Aufmerksamkeit reduziert und die Reaktionszeit vermindert sein.
  • Für Patienten mit Schlafstörungen gilt die Empfehlung:
    • Alkohol weitgehend vermeiden und keinesfalls als Schlafmittel einsetzen
    • Näheres siehe Artikel Insomnie

Psychische Störungen

Kinder alkoholkranker Eltern

  • Kinder von Eltern mit alkoholbezogenen Störungen oder anderen substanzbezogenen Störungen haben ein erhöhtes Risiko für:
    • psychosoziale Probleme
    • psychische Störungen
    • Substanzmissbrauch
    • Schwierigkeiten in der Schule
    • Verhaltensstörungen

Quellen

Literatur

  1. Effertz T, Mann K. The burden and cost of disorders of the brain in Europe with the inclusion of harmful alcohol use and nicotine addiction. Eur Neuropsychopharmacol 2013; 23(7):742-8. doi: 10.1016/j.euroneuro.2012.07.010 DOI
  2. Drummond C. Alcohol-use disorder. BMJ Best Practice. Last reviewed: 30 Feb 2021; last updated: 12 Jun 2018. bestpractice.bmj.com
  3. Knott CS, Coombs N, Stamatakis E, Biddulph JP: All cause mortality and the case for age specific alcohol consumption guidelines: pooled analyses of up to 10 population based cohorts. BMJ 2015; 350: h 384. PMID: 25670624 PubMed

Autor*innen

  • Thomas M. Heim, Dr. med., Wissenschaftsjournalist, Freiburg

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